Gustav Roos an Vater Toni, 24. Juli 1941
In Russland, am 24.7.1941
Lieber Vater!
Endlich habe Deinem Brief vom 2.7. erhalten. Mit gleicher Post kamen auch die ersten Briefe und Päckchen von Brühl. Über diese ersten Lebenszeichen von Euch habe ich mich sehr gefreut. Dass Du auch seit 6 Wochen nichts mehr von mir gehört hast, kann ich nicht verstehen. Ich habe seit Beginn des Feldzuges regelmässig, mindestens einmal in der Woche, wenn es ging auch mehr geschrieben, an Deine Adresse in Zakopane.
Ich habe in den letzten Tagen viel, an sich schon zuviel, erlebt: Von Staryi Bychow, von wo aus ich Dir das letzte Mal schrieb, bogen wir am 18. plötzlich in Richtung Süden ab. Nach etwa 6 km hiess es: „Funkgeräte frei!“, dann zogen wir mit den Geräten noch ein paar km weiter und buddelten uns beim Btl.-Gefechtsstand ein. Gegen 18.00 begann unsere Ari zu schiessen, immer über uns hinweg. Du hörtest den Knall des Abschusses, dann ein Sausen über Dir. Das war mir schon ziemlich ungewohnt. Schön wurde die Sache aber erst, als mein Truppführer mich auf einmal ins Loch hineinstiess, selbst nachstürzte und in der Nähe die erste russische Granate krepierte. Nach den ersten 5 hatte ich aber dann raus, ein ankommendes Geschoss von einem abgehenden zu unterscheiden. Die Nacht über war es verhältnismässig still.
Am anderen Morgen um 11.00 stieg der Angriff. Lutschina hiess das Dorf, das unser Btl. nehmen sollte. Wir gingen vor. Der Kampf um das Kaff dauerte 7 Std. Unsere Einheit hat den Westen und Polen mitgemacht. Das jedoch war ihr schlimmster Tag. Der Russe hatte starke und verflucht gute Ari. Er peilte unsere Funkgerät an und dann ging’s ran. Die Granaten krepierten um uns herum, nur wenige m von uns weg. Splitter sausten über uns hinweg. Dann gingen wir wieder vor. Piuhh, Piuh, über uns, neben uns. MG’s bellten. Der Stab war mitten in der vorgehenden Kpnie. Viel über den Kampf weiter zu sagen lohnt sich hier nicht. Ein Buch gäbe das! Es war mein erster Grosseinsatz. Der genügte mir. Jedenfalls habe ich mich anständig gehalten; denn nach dem Kampf sprach mir der Btl.-Kommandeur seine Anerkennung für mein Verhalten aus. Unsere Verluste waren sehr hoch. Von einer Kmp. blieben 35 Mann. Allerdings erfuhren wir, dass 2 Bataillone unseres Regimentes ohne Artillerieunterstützung, eine ganze russische Division, der 1 schweres und ein leichtes Artillerieregiment zugeteilt war, geworfen hatte!! Die Nacht verbrachten wir in den bekannten Löchern in einem Kartoffelfeld. Es regnete, angenehm war die Nacht nicht gerade!
In einem etwa 10 km entfernten Dorf verbrachten wir den folgenden Tag.
Am 21. hatten wir eine Sicherung zu übernehmen. Diesmal schoss unsere Ari gut. Wir bekamen nur Feuer von I.G. Auch in dieser Nacht regnete es wieder in unsere Panzerdeckungslöcher hinein. Wir froren ganz gemein in unseren nassen Klamotten. Am Morgen wurden wir abgelöst und brachten fast 60 Gefangene mit.
Wieder ein Tag Ruhe. Gestern morgen um 9.00 zogen wir wieder raus.
Nun sitze ich hier beim Gefechtsvorposten am Funkgerät. Die Situation ist nicht ganz angenehm. Der Russe sitzt im Süden etwa 5 km von hier und auf der anderen Seite des Dnjepr in etwa 1 km Entfernung. Wir haben einen eventuellen Angriff des Russen abzuwarten und aufzuhalten. Eine unangenehme Sache, wenn man im Walde liegt und weder Blick- noch Schussfeld hat. Sonst ist es hier ganz angenehm. Wenig Betrieb am Gerät und so kann ich einmal etwas pennen, schreiben. Das Wetter ist auch nicht mehr gerade so schlecht. Unser Kaffee; Essen und Verpflegung wird uns gebracht. Sozusagen eine ruhige Kugel.
In dem Kessel, den wir hier mitbilden, sollen wieder 16 Divisionen und eine Menge Ari stecken. Wenn der erledigt ist, wird der Russe wohl bald groggy sein. Hoffen wir das Beste, denn ich freue mich auf so vieles, was ich jetzt entbehren muss!
An Zigaretten bekomme ich kaum noch etwas, ausser dem, was man mir schickt. Das ist ein trauriger Fall! Die Papyrossi der Bolschewiki sind ja Giftstengel.
Gesundheitlich ausser einer kleinen Erkältung und einem Dünnpfiff, Marke „Quellwasser“ noch ganz auf Draht. Die schöne Waldluft hier wird mir auch gut tun!
Nun am Schluss bitte ich Dich, mir einmal und zwar möglichst bald, zu schreiben, wie es Dir geht, wo Du nun hängst, was Du tust, was Du vom Krieg mit Russland hälst!!
Ich wünsche Dir alles Gute und sende Dir die herzlichsten Grüsse!
Heil und Sieg!
Gustav.
Noch eins: Mutter weiss nichts von den Kämpfen, schreibe Du ihr bitte auch nichts. Sonst stirbt sie ja vor Aufregung.
G.