Gustav Roos an Bruder Günther, 30. August und 4. September 1941

Russland, am 30.8.1941

Sehr geehrter „Herr“ Bruder!

Als Ankündigung für meine Briefe wähle ich folgendes Ankündigungszeichen:
„Di-da-didid – di-da-didid – Wer uns gewaltraut....“ Ja, wo wir gerade von Liebe sprechen, was macht Dein Flämmchen? Noch immer die grosse Liebe?! Noch immer so kleine Radtouren in der Umgegend Brühls? Huch nein! Du kleiner Schäker! Treib’ es mir nicht zu toll!!

Nun zu mir! Eine kleine Momentaufnahme: Ort: Eine Scheune in einem kleinen Dorf in der Nähe der Desna. In dieser Scheune der Kompanietrupp der 9. und mein Funktrupp. Seit heute morgen liegen wir hier. Der böse Feind ist gar nicht weit, sozusagen in Sichtweite. Kampfhandlungen keine. Beiderseits nur rege Spähtrupptätigkeit. Das ist die Lage am Erdboden. Jedoch in der Luft....! Seit 2 Tagen schon brausen Geschwader auf Geschwader Stukas und Bomber nach Süden, immer neue. Wahrscheinlich bringen sie ihre Eier nach dem grossen Kessel im Süden. Und der Russe? Gestern fing’s an. Wir waren gerade im Quartier angekommen. Da! Lautes Flugzeuggeräusch.

„Mensch! Die kommen aber tief!“ Alles raus! Da kommen sie auch schon. 3 Stück. Höchstens 50 m hoch. – Tak-tak-tak ...!! Verdammt! Das sind Russen!! Wir waren platt. Wochenlang nichts von diesen Biestern gesehen, und auf einmal so. Na, es beruhigte uns, als wir hörten, dass 2 davon abgeschossen worden waren. Es kam noch besser. Heute, jede halbe Stunde kamen diese Biester, im Tiefflug brausten sie über uns her, schossen mit M-G’s, wir hielten mit unseren Karabinern auf sie, aber sie taten uns nicht den Gefallen herunterzustürzen.

Donnerstag, den 4.9.1941

Lieber Günther!

Inzwischen habe ich nun mein 20. Lebensjahr vollendet. Als ich am 31. abends zum Stab zurückkam, bekam ich die 5 Geburtstagspäckchen. Damit begann der hohe Festtag. Das Btl. zog ins nächste Dorf, wir bauten im Regen unsere Zelte auf und legten uns flach. Am 2.9. morgens 7.00 wurden wir geweckt. Wie immer gratulierte ich mir zuerst einmal ganz herzlich. Na, der Tag war eine Katastrophe. 3 x zogen wir in diesem Dorf um. Dabei regnete es zeitweilig. Umziehen – das heisst alle Sachen mitschleppen, Zelt abbauen, Zelt aufschlagen, neues Stroh heranschleppen, Lagerplatz säubern. Es war zu schön. Die Zeit

zwischen der Umzieherei war gut ausgefüllt mit Fahrzeugreinigen, Waffenpflege und ähnlichen Scherzen. Der Clou und würdige Abschluss des Tages kam dann noch. Weil die Kompanien alle weg waren, hiess es am Abend: „Die Nachrichtenstaffel übernimmt die Sicherung!“ Mich traf der Schlag. Nach einem fabelhaften Essen, es gab Königsberger Klops mit Pellkartoffel, zogen wir in der Dämmerung hinaus auf eine Höhe vor dem Dorf. Es fisselte. Und es war kühl. Ich bezog ein Loch mit einem Unteroffizier. Unter Mantel und Zeltbahn schlief ich einmal zuerst bis 10.00. Dann wachte ich und konnte so leise mit den Zähnen klappernd die letzten 2 Std meines Geburtstages geniessen. 24.00 war ich es satt. Das Loch war zu gross und zu kalt und so flach, ich grub mir ein neues und verbrachte darin den Rest der Nacht. Solch eine Nacht müsste eigentlich jeder mal vor seiner Freiwilligmeldung mitmachen. Er würde sich manches überlegen. Morgens um 6.00 Ablösung, in strömendem Regen. Frühstück, Zeltbau, und dann gönnte man uns eine Std. Schlaf. Dann Waffenreinigen und Appell. Um 11.00 war wieder einmal ein Umzug fällig. Wir räumten eine Scheune aus, säuberten sie und zogen ein. 16.00 kam

der Abmarschbefehl. 5 km ins nächste Dorf. Mit unseren Gefechtsfahrzeugen zogen wir in der Dämmerung ein. Das Dorf ist von der Zivilbevölkerung geräumt. So bezogen wir ein Haus mit der Staffel. Die Nacht schliefen wir bis heute morgen um 7.00. Dann ein Kaffee! Wir assen, d. h. lutschten Honig direkt aus den Waben, in rauhen Mengen, dazu ein bisschen Brot. Das nenne ich Frühstück!! Den ganzen Vormittag verbrachten wir damit, unsere Villa zu säubern. Mensch! Sowas von Dreck kann es nur in Russland geben!! Die Feldküche kann wegen Feindeinsicht nur am Abend kommen. So assen wir mittags Pellkartoffel mit sauren Gurken. Bis jetzt, 17.00 habe ich nun mal etwas Schlaf nachgeholt.

Unser Dorf ist eine Festung. Drinnen liegt der Stab und die Ari, rings umher im Osten, Süden, Norden, Westen liegen die Kompanien. In fast allen diesen Richtungen liegt auch fast der Feind. Allerdings wie wir annehmen nur noch versprengte Truppenteile, zum Teil noch mit starker Ari. Heute mittag haben sie uns schon einige nette Brocken vor die Nase gesetzt, Gott sei Dank nicht drauf. Die Schüsse waren nämlich alle zu kurz.

In dieser Unterkunft könnte ich es bequem mal 4 Wochen aushalten. Es ist jetzt sauber und ordentlich. Im Kamin prasselt ein Feuer, dass so allem etwas Gemütliches gibt. Nun etwas von mir ganz persönlich: Es wird Dich zwar erschüttern, aber es ist so: Ich habe nun endlich nach etwa 6-7 Wochen bangen Wartens einen Schnurrbart, blond, Schnitt à la Clark Gable. Tofte, tofte sage ich Dir. –

Schluss!
Die Feldküche ist da!
Ich habe Hunger!
Du hast Zeit!
Es wird dunkel!
Post muss weg!

Fortsetzung morgen!
Alles Gute und herzliche Grüsse an Dich und Mutter!

Heil und Sieg!
Gustav.