Gustav Roos an Mutter Elisabeth, 13. Oktober 1941

Russland, am 13.10.1941

Liebe Mutter!

Eine Marschpause. Wir sitzen in einem Bauernhause. Der letzte Russe ist hier vor 5 Tagen durchgekommen. Also ist mit Feindberührung kaum zu rechnen.

Ja, ich glaube, das schlimmste haben wir nun hinter uns. Der Kampf um die Desna und Briansk. Ich will nichts davon schreiben. Das erzähle ich Euch wenn wir einmal wieder zusammen sind.

Nun einmal wieder etwas allgemeines. Zum ersten Mal sind wir nun mit einer grossen Stadt und damit auch mit der Stadtbevölkerung in Berührung gekommen. Und da ist uns einmal

Kommunist vor die Augen gekommen. Die Bauern sagten uns immer: „Stalin russisch Bauer kaputt. Armer Mann sagt: Wann kommt deutscher Soldat?“ So sehen wir ja auch, wie elend der Bauer lebt und wohnt, wie ihn die Kollektivwirtschaft aussaugt. Der Russische Bauer sieht wirklich in uns seine Befreier. Er ist auch nur selten fanatischer Kommunist. Er hat nicht die Revolution gemacht. Das war der Arbeiter. Und so waren wir alle gespannt, wie lebt der Arbeiter im Sowjetparadies? Aus unserer Bereitstellung sahen wir die Vorstadt von Briansk. Etwa 1 ½ km entfernt. Als erstes leuchteten am Stadtrande grosse weisse Häuser undMietskasernen.

Von weitem sahen sie tadellos aus. Dann rückten wir vor. Das Bild änderte sich. Die Giebel hatten Flecken, waren schmierig. Nur wenige Fenster waren heil. Zwischen den Häusern kein Asphalt. Matsch Matsch. Auf den Höfen eine Bretterbude: der Lokus. Man kann es unmöglich beschreiben, wie der aussah. Und ein Gestank in dem ganzen Viertel. Am Strassenrand standen die Frauen und Kinder, stur, zerlumpt, genau so, wie sie uns schon aus den Zeitungen von früher bekannt waren. Das gleiche Bild zeigte sich uns auch in der Innenstadt. Alles zerlumpt und verkommen. Männer sahen wir nicht. Erst am Nachmittag, als es plötzlich von überall her knallte, wussten

wir, wo sie geblieben waren. Das war also unser Zusammentreffen mit den roten Arbeitern. Bei uns ist noch alles O. K. Wir sind die letzten Tage mal wieder auf schlechtesten Wegen kreuz und quer durch das Gebiet östl. der Desna gezogen. Gestern haben wir die Wolwa überschritten. Heute liegen wir in einer kleinen Stadt still, und haben einmal Zeit zur Körperpflege und zum Sacheninstandsetzen. Läuse haben wir nämlich ausnahmslos. Ja, ja, Russland ... Es geht mir noch ganz gut. Nur etwas erkältet bin ich und meine Füsse sind allmählich diese blödsinnige Marschiererei satt.

Es wird höchste Zeit, dass der Feldzug ein Ende nimmt. Und es sieht ja so aus, als dauerte er keine 10 Tage mehr. Dann werden wir vielleicht auch einmal wieder zur Ruhe kommen und in absehbarer Zeit gibt’s vielleicht sogar einmal Urlaub!!

Nun also alles Gute und die herzlichsten Grüsse
Dir, Günther und den Omas!

Heil und Sieg!
Gustav.