Gustav Roos an Bruder Günther, 15. Dezember 1941
Russland, am 15.12.
Lieber Günther!
Deine letzten zwei Briefe habe ich erhalten und mich sehr darüber gefreut. Nun bin ich ja mittlerweile verwundet. Ich bin froh, dass ich mal wenigstens für kurze Zeit aus dem Schlammassel raus bin. Die letzte Zeit war es bestimmt nicht mehr feierlich!
Weiter im Text, am 16.12.
Was so in nächster Zeit mit mir geschehen könnte, habe ich heute schon in einem anderen Brief nach Hause geschrieben. Ja, weisst Du was ich möchte? Ich möchte einmal
wieder nach Hause kommen. Ich sehne mich nach den Abenden, wie sie früher waren. Eine warme Stube, zuerst ein gutes Essen, dann eine feine Zigarette, einen guten Kaffee und einen, oder auch mehrere Benediktiner. Dazu ein nettes Buch, oder noch besser, ich würde Euch erzählen, was ich in der Zeit, wo ich weg war, erlebt habe. Ich möchte aber auch einmal ganz alleine sein, auf dem Chaiselongue liegen schöne Musik hören und „dusseln“. Ja, alleine sein! Wielange bin ich nicht mehr alleine gewesen, immer mit anderen zusammen, immer das mehr oder minder blöde Gequatsche der anderen mit anhören, dass bin
ich leid. Gemütliche Samstagnachmittage erleben, am Sonntag morgen durch Brühl bummeln, bei Moll sitzen und Zeitschriften lesen, mit Euch einmal nach Köln fahren, im Kaffé Wien eine ganz verrückte Tanzmusik hören, mein Gott, wieviel Wünsche!! Für Dich alles noch Selbstverständlichkeiten. Aber ich gebe Dir einen Rat: Geniesse jeden Augenblick, den Du noch zu Hause bei der Mutter sein kannst. Geniessen, das heisst, sei Dir bewusst, wie gut Du es zu Hause hast!! Und noch einen guten Rat: Suche solange es geht zu Hause zu bleiben. Denn bist Du einmal draussen ist’s aus mit der Gemütlichkeit!
Und, mein lieber Knabe, wenn Du Dich mutwillig melden würdest, so wäre das für mich nur der Beweis für Deine geistige Unzulänglichkeit; denn frage mal einen der Mutwilligen, wie er heute über seine Meldung denkt. Er wird sich nur an den Kopf schlagen und bitterlich weinen. Er hat nur Enttäuschungen erlebt. Idealismus, sofern er welchen hatte, hat er bestimmt verloren. Er hat soviel von jener Kameradschaft an der Front gehört, jener Kameradschaft, die erst im Feuer der Granaten wächst, die erst auf dem Schlachtfeld fest und unlösbar zusammen geschweißt wird, von der Kameradschaft, von der man so schöne
Geschichten liest und soviel wunderbares im Radio hört. Und dann kam er hinaus und suchte sie. Aber er hörte immer nur: „Was Du hast, das haste, haste nix, dann gibt Dir auch keiner was!!“ Das war die berühmte „Kameradschaft der Front“. Und so geschah ihm mit vielem, er sah, wie „Eiserne Kreuze“ verteilt wurden, er sah, wie er lebte und die Offiziere, und oft hungerte er, schwitzte und fror und er kam endlich in den Kampf. Aber das was man Kampf nannte, war kein Kampf, es war ein grosses Massenmorden und –schlachten. Ein Morden mit den raffiniertesten Mitteln der modernen Technik, er sah das viele Blut, das floss, er sah die, die ihm am liebsten waren,
fielen, er lag im Dreck, konnte sich nicht rühren, da bei der geringsten Bewegung die M-G’s zu bellen begannen. Er hörte die Verwundeten schreien und stöhnen und konnte ihnen nicht helfen. Und als er so dalag, da musste er sich fragen: „Wozu dies alles?! Wo bleibt hier Gott!!!? Und auf diese Frage gab es keine Antwort!
Wie oft haben wir uns schon gefragt: War dieser Krieg nicht zu vermeiden? Die Antworten auf diese Fragen sind nicht zur Veröffentlichung in Presse und Radio geeignet!
Soweit einmal für heute!
Noch eins [...]