Gustav Roos an seine Familie, 25. Dezember 1941

Am 1. Weihnachtstage 1941, aber -
nicht mehr im „roten Paradies“ (Gott sei Dank!!)
sondern auf deutschem Boden -
in Radom!! Hurreh!!!

Liebe Eltern! Lieber Bruder!

Am 23. Dez. genau ein halbes Jahr nach meinem Einmarsch in Russland fuhr ich bei Brest wieder über den Bug, hinein ins Generalgouvernement! Am 17. ging’s weg von Kaluga, so plötzlich, dass ich meine Klamotten in der Entlausung liess und bekleidet mit Badehöschen und Drillichrock zum Lazarettzug gefahren wurde. Dann nach 1 ½ Tag Fahrt bei tadellosester Verpflegung, am 18. abends wurde ich auf der Krankensammelstelle in Smolensk eingeliefert. Saumässige Verpflegung, und Läuse und nochmal Läuse! So war ich riesenfroh, als es am 20. weiterging, nach Westen! Dann Verwundetentransport – in Viehwagen auf Stroh, nur mässig geheizt. Verpflegung ging. Es war eine Qual! 2 ½ Tage sollten wir bis zum Ziel haben. Orscha, Borissow, Minsk, Bialistok, überall stundenlang Aufenthalt. Dann bekannte Orte Baranowitschi,

Kurtuska-Beresa, die Läuse vermehrten sich wieder rasend alles wimmelte, die Kälte im Wagen, dazu die nicht gerade begeisternde Aussicht, Heiligen Abend im Viehwagen feiern zu müssen. Es kam am 22. abends Brest, wieder Aufenthalt bis zum Morgen. Verfl...! Wenn das so weitergeht, dann farewell Heiliger Abend. Am 23. mittags wurden in Biala ein Teil der Verwundeten ausgeladen, ich war nicht dabei. Na, der letzte Teil kommt nach Sielce! Am Abend in Sielce! Wieder Pech! Fleckfieber! Die Fahrt geht weiter, bekannte Stationen, Deblin, Poulari, Garbatka... Und wenn wir jetzt nicht in Radom rauskommen, dann ist alles Essig. 13.00 Ankunft in Radom! Hurrah! Wir kommen raus! mit noch 5 Mann komme ich ins Reserve-Kriegslaz. Fahrt durch Radom. Das Lazarett – ein neuer, ganz moderner Bau! Und nun kam das schönste Geschenk, das man uns wohl machen konnte, man zog uns aus, nahm uns alles, ohne Ausnahme ab, steckte uns unter eine heiße Brause, und durften uns nun abseifen, und das war ein Vergnügen, eine Wonne!! Denkt Euch, nach einem halben Jahr Dreck! Und dann nicht in dreckige

Klamotten, sondern in frische Hemden und einen sauberen Lazarettanzug. Dann ein neuer Verband. Dann brachten uns Schwestern in ein Bett, schneeweiss überzogen. Unser Zimmer liegt im 2. Stock, hell, mit 4 Betten, Heizung. Vom Fenster aus sehe ich über ganz Radom. Nun lagen wir im Bett, da flötet die Schwester: „Habt Ihr noch Wünsche?“ Ich stöhne, selig vor Wonne: „Jetzt noch eine Zigarette...“ Die beiden anderen hatten Hunger und Durst. Ich bekam meine Zigaretten, und dann kamen für uns 4 Mann Linsensuppe (prima!) und für jeden ein Apfel. Als wir das intus hatten, brachte man uns Tee, Blatz mit Butter und Gelée, dazu Stollen, soviel wir haben wollten. Dann brachte man uns anständige Bücher zum Lesen. Halb fünf kam ein Christbaum auf das Zimmer, die Kerzen wurden angesteckt.

Draussen, auf dem Flur spielte die Geige ein Weihnachtslied. Die Schwestern sangen mit und wir – wir lagen da und dachten an Euch zu Hause, genau so wie wohl auch Eure Gedanken wohl den ganzen Tag bei uns waren. Wir dachten an den Heiligen Abend, an dem wir noch zu Hause waren... Ich habe bestimmt schwer auf die Zähne beissen müssen; denn meine Augen

wurden verdächtig feucht. Einem alten Frontsoldaten darf sowas nicht passieren. Man ist ja wohl allmählich ein Mann geworden!! Der Wehrmachtsgeistliche sprach ein paar Worte und dann sagen wir alle: „Stille Nacht – heilige Nacht!“ Die gegenseitige Beglückwünscherei folgte, die Schwestern brachten jedem einen hohen Teller mit Plätzchen, Bonbons, Pralinen, Äpfeln und 20 Zigaretten herein. Ich war ganz zufrieden schon. Kurz darauf bekam noch jeder ein kg-Päckchen von einem Mädel aus der Heimat an „einen unbekannten Soldaten“. Es enthielt wieder Plätzchen, Schokoladewaffeln, Bonbons und 10 R6, ein ganz fabelhaftes Notizbuch 1942 und ein lustiges Buch. Kaum hatten wir gegessen, kam wieder eine Schwester mit einer Flasche Wein und wieder einer dicken Tüte mit Plätzchen, dann kam wieder eine andere mit 20 Zigaretten pro Mann und 4 Päckchen. Eine 13jährige Nürnberger Schülerin schrieb mir, ihrem „lieben unbekannten Soldaten“ einen reizenden Brief, eine Schachtel Overstolz, einen prima Drehbleistift, dieses Briefpapier, Rasierklingen, Pulswärmer, ein Kartenspiel, Eierplätzchen und echten

Nürnberger Lebkuchen. Na, dachte ich das reicht. Aber heute morgen gings weiter: Zuerst der B.D.M. mit einer Tüte voll Äpfeln und Süssigkeiten, dann kam noch die Partei mit 25 Zigaretten und Süssigkeiten. Zuletzt bescherte uns die SS. Ich bekam noch einmal 25 Güldenring, eine Tafel Schokolade, ein grosses Paket Keks und dazu durfte man sich aus einem Haufen Bücher zwei Stück aussuchen. Ich wählte: „Kriegsbriefe gefallener Studenten“ und Rosenbergs „Mythos“ (Ja, ja, den Mythos!!)

Nun habe ich meine Geschenke aufgezählt. Ich muss sagen, ich war fertig und ich glaube, Ihr werdet auch staunen. Soviel hatte ich niemals erwartet. Aber es geht weiter, und zwar zum Essen!! Höret und staunet!!!

Als die Bescherung zu Ende war, wurde das Essen aufgetragen, bestehend aus zwei gebratenen Karpfen und Kartoffelsalat, dazu ein Glas Sekt! Als ich das intus hatte, konnte ich nicht mehr „pip“ sagen, trank trotzdem aber noch etwas Wein und knibbelte von meinem Teller, die Folge war ich konnte nicht einschlafen.

Heute morgen um 8.00 kam das Frühstück, Kakao mit Weissbrot, Butter, Gelée. Kaum hatten wir das verdrückt, folgte um 10.00 eine Tasse Wein mit Ei drin, dazu Weissbrot und Butter! 12.00 Mittagessen! Hühnersuppe, Huhn auf Reis, Pudding mit Kompott. 3.00 Kaffee: Bohnenkaffee mit Milch und Zucker, und Weihnachtsstollen. Und gerade habe ich zu Abend gegessen: 4 Schnitten Weissbrot mit Butter, dabei habe ich 5 hartgekochte Eier verdrückt. Prost! Jetzt sitze ich auf meinem Bett, schlürfe von meinem Wein, rauche eine Overstolz, knibbele von dem Süssen, schreibe und bin froh, dass ich nicht aufzustehen brauche; denn das gäbe eine Katastrophe, so voll ist mein Bauch!

Ich glaube wohl, Euch geht es genau so wie mir, Ihr könnt nur staunen. Es ist aber auch toll. Die Schwestern, alle aus dem „Ländle“ sind ganz fabelhafte Kerle, freundlich und ganz besorgt um uns, der Stationsarzt auch Schrob, war schon 4 x mal heute bei uns, ob wir Wünsche hätten, ob uns irgendetwas fehle, ob wir genug zu essen bekämen!

Ich werde verrückt!! Gerade kommt die Schwester wieder mit einem Glas Glühwein! Wohin damit? Na, egal, runter muss es!!

Ja, ich bin zufrieden mit Weihnachten! Es ist ja nicht schön, wenn man gerade in diesen Tagen fern von Hause, von der Mutter sein muss, aber wenn man hier so umsorgt wird, dann fällt es einem schon etwas leichter. Und ausserdem besteht ja auch eine Hoffnung auf baldigen Heimaturlaub, vielleicht Erholungsurlaub, oder sonst doch wenigstens Fronturlaub! Na, hoffen wir das beste!!

Wie schon erwähnt liegen wir zu 4 Mann zusammen. Tadellose Kerle zwischen 25 u. 30 Jahren. Einer davon kennt Brühl, er hat mit seiner Panzerdivision im Februar auf dem Langenackerhof gelegen.

Nun wieder zu meiner „Verwundung“. Das Loch im Kopf heilt prima, hat schon eine Kruste und ich brauche auch keinen Verband mehr zu tragen. Die Erfrierungen an beiden Füssen sind geheilt, bis auf 2 Wunden am rechten Fuss, aber die sind auch jetzt trocken und heilen! Wenn das alles in Ord-

nung ist, will ich sehen, dass auch meine Zähne noch in Ordnung gebracht werden. Mein Maul sieht nämlich übel aus: 3 Plomben rausgefallen, die dazu gehörigen Zähne abgebröckelt bis aufs Zahnfleisch, ausserdem noch 2 hohle Zähne. Daran ist die Ernährung in Russland schuld.

Heute morgen wurde eine Messe hier gelesen, und ich bin sogar dabei gewesen. Nicht, weil ich auf einmal anders geworden wäre, nein, ich habe noch immer die gleichen Ansichten, aber ich bin ein halbes Jahr in Russland gewesen und ich habe oft gedacht an den Sonntagen, Mensch! heute möchte ich einmal eine Messe hören. Und wisst Ihr, ich habe immer ein solches Schwein gehabt im Kampf, besonders in den letzten Tagen, als es ganz hart auf hart ging und wir manchmal nahe genug daran waren, einkassiert zu werden. Dass der Granatsplitter nicht etwas weiter in meinen Kopp reinging, überhaupt, dass ich den Feldzug soweit überstanden habe, dass ich keinmal schlapp zu machen brauchte, dafür musste ich einmal einem danken – und deshalb bin

ich dorthin gegangen. Und ich habe es nicht bereut, denn der Pfarrer war auch O. K. Ein Soldat und Geistlicher, einer der in die heutige Zeit passte und dessen Predigt uns etwas mitgab.

So und nun, ich werde sehen, dass der Brief so schnell, wie möglich ist, zu Euch kommt! Aber dann schreibt mir aber sofort dalli, dalli wieder, vielleicht Eilbrief, oder Einschreiben, das letztere soll, wie man mir sagte schnell gehen, denn ich möchte wissen und erfahren, wie es bei Euch aussieht, was Ihr macht, ob Ihr alle noch gesund und munter seid und was unser „alter Brummbär“ [...] macht. Er schrieb mir zu [...] November nach Brühl. Ist er nun eingetroffen? Was macht der holde Bruder?

Und du, liebe Mutter, ich hoffe, dass es Dir noch gut geht und dass Du Dir nicht zuviel Sorgen und Gedanken um Deinen „Feldgrauen“ ge-

macht hast! Jetzt ist ja alles mit mir wieder gut. Ich bin aus dem entsetzlichen Land raus, es geht mir gut. Und dann wollen wir beide hoffen, dass es bald Urlaub gibt und wir einmal alle 4 zusammen sein können! Also Kopf hoch! und keine Tränen mehr!!!
Und nun einen kräftigen Schluck auf eine baldige Heimkehr und auf einen baldigen Frieden! Prost!!

Die herzlichsten Grüsse und alles Gute für das kommende Jahr!!

Heil und Sieg!
Gustav.

Grüsst bitte auch noch einmal die Omas, Tante Uta, Onkel Jupp, Tante Agnes, alle Verwandten und Bekannte von mir!!