Gustav Roos an seine Eltern, 6. Januar 1942
Bad Doberan, d. 6.1.42
Liebe Eltern!
Also jetzt in Bad Doberan! Die Fahrt hierher war tadellos. Abfahrt von Radom 20.00, von Warschau ging’s am anderen Morgen weiter über Kutno, Posen, Pasewalk und Rostock. Da wir durch Deutschland fuhren, verlud man uns nicht mehr in Viehwagen, sondern in komfortablen D-Zugwagen.
Das Lazarett ist im Kurhaus eingerichtet. So schön wie in Radom ist’s allerdings nicht. Das Essen ist gut.
Vater schreibt, mindestens bis 1. Februar sei er in Brühl. Ich möchte nun gerne nach Hause kommen, solange er da ist. Im Lazarett bleibe ich vielleicht 8, vielleicht aber auch noch 14 Tage, Urlaub gibt’s vom Lazarett nicht. Vom Laza-
rett geht’s dann für gewöhnlich zu einer Genesungskmp. Auch hier gibt’s soviel ich weiss keinen Urlaub. Erst der Ersatztruppenteil gewährt dann Urlaub. Mir stehen dann 14 Tage Erholungsurlaub zu. Also kann ich Ende Januar oder Anfang Februar damit rechnen. Darum soll Vater sorgen, dass er etwas länger bleibt und sich ein paar Zähne mehr ziehen lassen!
Also, lieber Alter, schreib’ mal bitte, wie Du Dir die Sache denkst.
Fortsetzung, um 18.00
als ich vom Ausgang in die Stadt ins „Kurhotel“ zurückkam. Also Mittwochs ist hier Ausgang, von 14.00-18.00. Mit geschwelltem Portmonaie, mit einem langen Zettel von Sachen, die mir schon lange fehlten, mit heissem Verlangen nach Süssen und Bier zog ich los.
Zuerst ein Bummel durch die Stadt. Ich bestaunte die Schaufenster, Mensch, hier ist doch nichts knapp!!
So trat ich in einen Laden, Zigaretten zu erstehen. Einer in der ganzen Stadt war offen. „Was wünschen Sie?“ „Zigaretten, bitte!“ „3 Stück kann ich Ihnen geben!!!“ Und die Holde reichte mir 3 Stück. Ich sah nach der Marke – Afrikaine!! Mir wurde übel!
In der Drogerie: „Bitte, eine Tube
Zahnpaste!“ „Leider nicht mehr vorrätig!“ „Zahnbürste?“ Auch nicht!“
Im Schreibwarengeschäft: Briefpapier. Ich bekam nach langer Verhandlung 5 Bogen Holzspanpapiers.
Zeitschriften. Ein Exemplar. Mehr wird auf einmal nicht abgegeben.
Dann ging ich in ein Café. Marken hatte ich noch genug. Nun wollte ich mal so richtig Kuchen verkimmeln. Ich bekam einen Kaffee, der bei uns nach einem 60 km-Marsch in 40° Hitze glatt abgelehnt worden wäre. 2 Miniaturstücke Kuchen lagen vor mir. Ich sah sie einmal durchdringend an – weg waren sie! Ich bestellte nochmal Kuchen. „Bedaure, es gibt nur einmal Kuchen!!“
Dann trank ich Bier, und Gott sei Dank, wenigstens hiervon konnte man soviel trinken, wie man wollte. –
So, Schluss für heute!
Es ist schon viel zu viel für einmal.
4 Wochen lang habe ich Euch lange Romane geschrieben, jetzt seid Ihr dran.
Schreibt!!
Wie Ihr hört, sind Zigaretten wieder knapp!
Nun alles Gute und die herzlichsten Grüsse!
Heil und Sieg!
Gustav
Bad Doberan
(Mecklbg)
Reserve-Lazarett