Gustav Roos an Mutter Elisabeth, 30. März 1942

Göttingen, am 30.III.1942

Liebe Mutter!

Nun bist Du schon wieder eine Woche weg von hier. Ich warte nun schon die ganze Zeit auf Deinen Brief. Heute kam dann die Schuhbürste an. Vielen Dank! Seit Du nun weg bist geht der sture Dienst lustig weiter. Mein Appetit wächst täglich ins ungeheure! Na, und die letzte Woche? „Tag der Wehrmacht!“ Wen Gott strafen will, den lässt er einen „Tag der Wehrmacht“ in der Garnison miterleben. Schon Donnerstag ging’s los: Revierreinigen, mit zahllosen Überstunden. Es wird gekehrt, geputzt, geschruppt, geölt, gewaschen, o Herr, und an dies herrliche Revierreinigen schlossen sich schöne Stuben- und Spindapelle an. Es war herrlich! In der Stadt war es hochgefährlich. Den ganzen Tag über sausten unsere Paks und M-G’s herum und böllerten mit Platzmunition. Eine Kaserne suchte die andere zu übertrumpfen. Es war furchtbar. Das Militär war übergeschnappt! Samstag Abend! Das Revierreinigen ist beendet. Wir sollen einen Film gezeigt bekommen. Ich war auf Draht und machte mich dünn. Am Abend hörte ich’s denn: Was zeigte man dem Btl. 82? Märchenfilme!!! „Tischleindeck Dich“, „Wettlauf zwischen Hase und Igel“ u. a.

Der Sonntag! 7.00 wecken, 8.00 Revierreinigen. Ich begann zu verzweifeln. Anschliessend noch einmal einen Revier- Stuben- und Spindapell. 11.00 Essen. Kartoffelsalat mit Würstchen.

Zwölf Uhr begann die Fütterung der zivilen Raubtiere. 3000 Personen hatten sich schon im Voraus gemeldet. Es gab Erbsensuppe! Das Volk stand Schlangen, staute sich!! Erbsensuppe mit Speck! „Ohne!!!“ Frauen stöhnten, Männer drängten, Mädels wurden ohnmächtig, Kinder zertrampelt! Um 18.00 wurde noch immer gegessen. Ein Uhr begann inzwischen die Volksbelustigung: Besichtigung der Kasernen, Stuben, Schiessen am M.G., an der Pak, mit dem Karabiner, am Kleinkaliberstand, Werfen mit Handgranaten, Varieté, Vorführungen auf Motorrädern, und der Clou? Von dem Dach unserer Kaserne zur Kantine war ein dickes Seil gezogen. An diesem Seil hing ein lebender Schütze und wurde immer hin und hergezogen! Er stellte einen engl. Fallschirmjäger dar. Auf diesen Knaben in dieser beneidenswerten Lage durfte nun das Volk mit einem M-G mit Platzmunition. Es war schööön! Ich hatte die Aufsicht am Kleinkaliberstand und durfte kleinen Mädchen das Zielen beibringen. Ab 6.00 war Ausgang, ich bekam noch eine Kinokarte, ass gut in der Junkernschenke. Dann sah ich „Menschen im Sturm“. Ein übler Film! Mir hat das Geld leid getan. Sowas hört, liest, sieht man seit 3 Jahren Tag für Tag. Und dann wird es einem noch im Kino vorgesetzt.

Samstag habe ich auch noch in der Junkernschenke gegessen. 2 x war ich in der „Börse“ und habe einmal sogar Zigaretten bekommen. Ich soll Dir auch Grüsse von Joeps bestellen. Donnerstag war ich beim Zahnklempner, baden, Kuchen essen und habe ausserdem auch noch Champignons in der Krone gegessen. Mein Geld schwindet. Ich erwarte sehnsüchtig den 1. und auf deine mütterliche Hilfe! Von Vater habe ich noch immer nichts gehört. Ich werde ihm einen gepfefferten Brief schreiben!

Morgen gehe ich wieder zum Zahnarzt. Sonst ist noch alles beim alten.

Aussicht auf Urlaub besteht natürlich auch nicht! Wann es los geht ist auch noch nicht bestimmt. Neue Parolen laufen zur Zeit nicht!

Aber nun etwas anderes: Weisst Du eigentlich, was Butter ist? Nein? Ja, Butter ist ein Brotaufstrich aus der Systemzeit!! Gut! Nicht!

Feldwebel Eichenberg, den I. A. unseres Stabes traf ich heute und der sagte mir unter anderem, dass wir das E. K. für den letzten Angriff vor Tula, wo ich bei verwundet wurde bekommen habe.

So, das soll für heute genügen!
Schreib’ mir bitte bald wieder!
Nun alles Gute und die herzlichsten
Grüsse an Dich Günther, die Omas und Tante Uta!

Heil und Sieg!
Gustav