Gustav Roos an Mutter Elisabeth, 15. Juni 1942

Russland, am 15.6.1942

Liebe Mutter!

Dieses Mal ein Brief nicht von der Front, sondern aus dem Hinterland, der Etappe. Seit gestern sind die Funker unserer Regimenter zu einem Funkkursus bei der Division, die etwa 4 km zurückliegt.

Das erste Mal seit ich wieder in Russland bin, schlafe ich nicht mehr im Bunker sondern in einem Haus, einem, der bekannten Bauernkaten. Unsere Behausung hat allerdings kein Mobilar; nur 4 Wände. Als wir gestern ankamen, mussten wir uns noch erst einen Tisch und eine Bank zusammenkloppen. An komfortable Betten sind wir auch nicht gewöhnt und fühlen uns also auch auf dem Fußboden ganz wohl.

14 Tage werde ich hier bleiben. Wir haben vormittags

3 Stunden Unterricht. Morsen oder Schlüsseln und dann noch einmal nachmittags 3 Stunden. Das ist gut auszuhalten!

Das Wetter ist noch immer ganz bescheiden. Kaum haben wir mal einen schönen Tag gehabt. Regen fast immer. Und kalt ist es! Man hält es nicht für möglich, wenn man bedenkt, dass schon Mitte Juni ist!

Im übrigen warte ich nun mit Sehnsucht auf eine Entlausung. Wenn die lausefreie Zeit auch nicht lange dauern wird, es muss schon herrlich sein für zwei Wochen von diesen Viechern verschont zu bleiben!

Damit ich es nicht vergesse! Gestern gab es ein Essen! Ein Essen!! Mein lieber Mann! Sauerkraut mit Speck und danach Pudding mit Erdbeeren. Ein Schlag, ganz gross und ausserdem schmeck-

te es ausgezeichnet!! Das haben wir noch beim Btl. und nicht schon bei der Div. gegessen! Und eine Verpflegung!! Für 2 Tage: 1 Kommissbrot, das man kaum noch Kommissbrot nennen kann, so gut ist es, Rauchfleisch, Käse, Butter, Kunsthonig, Drops, 1 Tafel Schokolade, 12 Zigaretten und ¼ Kochgeschirr Cognac. Ausserdem gab es den ganzen Tag Bohnenkaffee! Also dies ist mir zu doll! Allmählich kommt mir das komisch vor. So was gab es 1941 doch nicht. Vielleicht aber kann man auch aus diesem Essen auf bevorstehende Bewegung schliessen. Aber das ist bei uns aus verschiedenen Gründen, wenn auch nicht unmöglich, so mindestens doch unwahrscheinlich!

Nun noch etwas! Dass Du allerdings keinem etwas davon erzählst. Ich hörte vorgestern von Inge, dass Flöns auch verwundet war. Und zwar war er auch neugierig, guckte einmal aus dem Panzer, was wohl der böse Feind macht und bekam eine Splitter an die rechte Stirnseite, genau wie ich. Es war aber wohl nicht so schlimm, denn mittlerweile ist er schon wieder mit dabei. Sein Vater soll es aber nicht erfahren und darum erzähl’ Du auch nichts! Flöns hat mir nun über die bekannte Adresse seine neue Feldpostnummer geben lassen und wartet nun auf Post von mir. Ich opfere deshalb eine meiner neuen Luftpostmarken. Du hast ja das letzte Mal 2 bekommen. Und die Post nach hier geht ja auch ziemlich schnell. Ich warte nun allerdings seit einer Woche wieder auf Nachricht von Euch. Alle an

dere Post kam an! Aber ich hoffe, dass ich, wenn ich Ende der Woche mal zum Btl. runter gehe auch etwas von Euch vorfinde! Eine Frage! Haben die Omas und Onkel Jupp meine Briefe erhalten? Es scheint nicht; denn ich höre von keinem etwas!

Liebe Mutter! Du siehst nun, es geht mir gut, wenn ich auch in Russland bin! Mach’ Dir also keine Sorgen! Wir werden ausserdem kaum aktiv an der eventuell kommenden Offensive beteiligt sein. Nach Osten

bestimmt nicht; denn dann würden wir frontal gegen Moskau rennen. Höchstens kommt hier ein Kesselchen zustande! Ein Vormarsch und Kämpfe wie im vorigen Jahr sind für uns unmöglich. Wenn der herrliche Löwe auch im vorigen Jahre noch das Maul aufriss, brüllte und seine Zähne zeigte, hat er heute doch das Maul geschlossen und die Schnauze voll.

Man hat uns offiziell gesagt, dass wir diesen Sommer, wenn auch nicht in diesem Ort, so doch in dieser Gegend blieben. Man sagt,

der Russe schon bei uns hier vom Süden her leicht eingekesselt sei. Aber das hat sich noch nicht bestätigt und so müssen wir vorläufig einmal abwarten!

Und nun alles Gute und die herzlichsten Grüsse
Dir, Günther, den Omas und Tante Uta!

Heil und Sieg!
Gustav