Gustav Roos an Vater Toni, 12. September 1942

Russland, am 12.9.1942

Lieber Vater!

Ja, also schuld daran war die Leber, nur die Leber! Bestimmt! Ach, was für eine Leber? Na, die Pferdeleber, die ich mir gerade noch einmal warm machen wollte. Das war am 9.9. 14.00. Heute schreiben wir den 12.9. und ich bin auf dem Hauptverbandsplatz.

Habe ich Dir das nun nicht ganz schonend beigebracht?! Die näheren Umstände sind schnell erzählt. Wie gesagt, ich kniete an der Feuerstelle vorm Bunker und wärmte die herrliche Pferdeleber auf. Da machte es „bumm“ vor mir und einmal „bumm“ hinter mir. Von dem Luftdruck wurde ich etwas durcheinandergerüttelt und verspürte einen Schlag gegen die Hand und in den Rücken. Einen Moment lang guckte ich ganz dumm aus der Wäsche, machte aber dann einen ganz gewaltigen Satz in den Bunker und liess mich verbinden. Ein Splitter einer Wurfgranate hatte mich in den Handrücken der linken Hand getroffen, ein zweiter war mir links in den Rücken etwa 5 cm über dem Beckenknochen geflutscht. Besondere Schmerzen verspürte ich nicht. Als es dunkel geworden war, ging ich zurück zum Bataillon und liess mich von unserem „Assi“ anständig verbinden. Der schickte mich zum Hauptverbandsplatz. Bis jetzt war alles Spass gewesen, nun trat der bl[..]ge Ernst in Gestalt eines sadistischen Oberarztes an mich heran.

Dieser Knabe hatte sich in den Kopf gesetzt meinen Splitter aus der Hand zu entfernen. „Betäuben? Nein! Dann schwillt die Hand zu sehr an!“ Er nahm ein Löffelähnliches Instrument, ging damit in die Wunde und suchte den Splitter. Dabei grinste er mich dumm an und sagte: „Das tut doch nicht weh!“ So ein Schwein! Endlich glaubte er ihn entdeckt zu haben. Aber der Splitter wollte nicht. Er widerstand allen Bemühungen; denn er sass eingeklemmt zwischen dem Knochen des kleinen Fingers und dem des Ringfingers. Dann ging er mit einer Riesenpinzette heran, bekam zuerst einen Knochensplitter raus und zerrte dann am Granatsplitter. Nun war die Wunde zu klein. Mit der Schere schnitt er sie größer. Dann nach ¾ Std., in denen ich Stielaugen und graue Haare bekam und die mir bestimmt als Vorzahlung auf das Fegfeuer angerechnet werden, schwang er triumphierend den erbsengroßen Splitter vor meinen Augen. Zum Abschluss träufelte er mir noch einen Liter Jod auf die Wunde und jagte mir 1 ccm Tetanusserum in den Arsch. An dem Splitter im Rücken machte er nichts. Wenn er nicht eitere und mir auch sonst keine Beschwerden mache, solle ich ihn ruhig drin lassen. Wahrscheinlich sitzt er im Fleisch drin und da er auch nicht groß ist, na, da bleibt er eben drin.

Vorläufig bleibe ich also noch hier auf dem Hauptverbandsplatz, bis die Sache einigermassen in Ordnung ist und dann gehts zurück zum Btl.

Mutter braucht von der Verwundung nichts zu erfahren. Sie regt sich dann nur unnötig auf. Schreib’ Du ihr bitte auch

Der Hauptverbandsplatz der Div. ist 3 km hinter der Front in einem Dorf. Ich liege mit noch einigen Verwundeten in einem sauberen Haus. Lesen und schreiben ist unsere einzige Beschäftigung. Die Verpflegung ist auch hier gut und ich habe vor, mich hier gut zu erholen und auszuschlafen.

Im übrigen geht es mir immer noch ausgezeichnet.

Nach meiner Verwundung sass ich einmal kurz an der Vermittlung und hörte ein Gespräch zwischen einem Kmp.-Chef und unserem Adju. Es handelte sich darum, dass ich bald Offz. werden solle. Sie besprachen die Möglichkeit, wie es am einfachsten für mich ginge. Ich bin mal gespannt, wie das klappt.

Ja, und nun wünsche ich Dir alles Gute und sende Dir die herzlichsten Grüße!

Heil und Sieg!
Gustav