Günther Roos an Mutter Elisabeth, 16. Juli 1942
Sehr geehrte Frau Welter!
Geben Sie bitte diesen Brief meiner Mutter. Hier bei uns auf der Stube ist Scharlach und wir dürfen nicht schreiben. Deshalb dieses Versteckspiel. Waschen Sie sich aber bitte sofort die Hände und verbrennen Sie den Umschlag!
Schon vielen Dank im Voraus und die herzlichsten Grüße an Sie, Ihren Mann und Ihre Mutter
Günther Roos
Kamperfehn, den 16.7.42
Liebe Mutter!
Habe heute Deinen Brief und die Illustrierten erhalten. Habe mich riesig gefreut. Wie ich Dir ja schon mitgeteilt habe, herrscht bei uns Scharlach auf der Bude.
Du brauchst Dir aber keine Angst um mich zu haben, denn es geht mir einfach prima. Wir gurgeln stündlich, und die Bude wird ausgeräuchert. Also nur keine künstliche Aufregung. Das Leben war schon vorher prima, und es gefiel mir 100 X besser als in Germeter. Dienst machen wir jetzt überhaupt nicht mit, denn wir werden von den Führern gemieden wie die Pest. Es wird jetzt auf die Dauer nur saulangweilig. Wir lesen, liegen im Bett und rauchen den ganzen Tag, d.h. sofern man kann. Zu lesen habe ich ja Gott sei Dank, den Mythos und jetzt die Illustrierten. Mit Rauchwaren ist es allerdings um so bescheidener. Das Essen ist auch gut und reichlich. Morgens erhalten wir immer 5 Schnitten Brot mit Butter und Marmelade. Heute Mittag hatten wir Bohnensuppe. Habe 7 hohe Teller voll gegessen. Als ich
fertig war, reichte es gerade noch aus, um mir den Gürtel abzunehmen, eine Zigarette anzustecken und dann bin ich wie ein Toter ins Bett gefallen. Habe dann 2 Stunden in schlafender Weise verbracht. Als ich wach wurde, war es mir schon etwas besser. Abends erhalten wir 2 bis 3 Teller Milch- oder Brotsuppe und 5 Schnitten Brot mit Butter und Marmelade. Das Essen ist also prima. Gestern Mittag hatten wir Braten, Kartoffeln und Salat. War auch sehr gut. Wir essen jetzt auf der Stube. Holen es im Hof vor der Tür ab. Wie bei Aussätzigen. Es ist nur ein Fehler. Die Malzeiten sind um 7, 13 und 18 Uhr. So sind die Zwischenräume zu groß und man bekommt Hunger vor Langeweile. Du könntest mir deshalb außer Plätzchen noch Karamellen schicken und natürlich Zigaretten und die Illustrierten und ab und zu den WB. Dann habe ich weißes Nähgarn nötig. Dann siehe doch mal, ob Du mir einen kleinen, schmalen, breiten Tuchbeutel für das Eßbesteck machen kannst.
Da ich nun sonst absolut nichts Neues erlebe, kann ich Dir ja auch nicht viel schreiben. Briefeschreiben ist sowieso für uns verboten, aber ich sehe, daß ich sie durchschmuggele. Vorsichtshalber schicke ich ihn an andere Adresse. Dann noch eine Warnung. Sofort Brief verbrennen und Hände waschen. Nicht daß Du nachher eine rote Scharlachleiche bist. Davon habe ich dann ja auch nichts. Also, Vorsicht!!
Jetzt viele Grüße an alle Verwandten und Bekannte und
Heil und Sieg
Günther