Günther Roos an Mutter Elisabeth, 6. September 1943

O.U., den 6.9.1943

Liebe Mutter!

Heute will ich mir mal die Zeit nehmen, um Dir zu schreiben, was hier eigentlich los ist. In den letzten paar Tagen bin ich nicht dazu gekommen, da hier allerlei los ist.

Auf Grund der Tatsache, daß ich der letzte vom Stamme Levi bin, kam ich zur leichten Kolonne. Ihre Aufgabe ist es, aus dem Hinterland die Munition für die Batterien heranzuschaffen. Eine bessere Lebensversicherung. Landschaftlich bin ich nun von Rußland angenehm enttäuscht. Es gibt recht schöne Flecken hier, die stark an Norddeutschland bzw. die Eifel erinnern. Bloß das Klima ist hier saumäßig. Am Tage brennt die Sonne, daß man zerfließt, und nachts friert es, daß es kracht. Auf meinem Waschwasser war heute 1 cm. dickes Eis. Mit dem Ungeziefer geht es. Hatte bisher einen Floh, der den Weg alles Irdischen gehen mußte. Das Essen ist tadellos. Reichlich, gut und schmackhaft. Dann können wir uns bei der „Frontbegradigung“ auch noch immer etwas organisieren. Gestern haben wir z.B. einen Hammel und 4 Hühner ermordet. Sie haben tadellos geschmeckt. Direkt vom Feind merken wir hier wenig. Nur die „Rollbahnkrähe“, von der Gustav schon schrieb, macht uns zu schaffen. Pünktlich 1/4 Stunde nach Anbruch der Dunkelheit erscheint die Kaffeemühle und illuminiert die Rollbahn. Sind keine Fahrzeuge zu sehen, so fährt sie mit 100 km/h weiter und läßt neben der Desnabrücke einige Eier fallen. Mit genauso phantastischer Sicherheit, wie er kommt, genauso sicher wirft er seine sechs Bomben neben die Rollbahn. Treffen tut er nichts, aber er fällt uns auf die Nerven.

Der Russe ist zur Zeit sehr aktiv. Wie verrückt greift er an und will durchbrechen. Wird der Druck zu stark, so gehen wir einige Kilometer zurück und das Gleiche geht von vorne

wieder los. Iwan hat dabei riesige Verluste und erreicht nichts. Die Frucht wird vorher abgeerntet, die Dörfer angezündet. Vorgestern war nun etwas los. Wir bekamen mit der Kolonne den Auftrag, ein Muni-Lager, das im Rahmen des elastischen Rückzuges in Feindnähe gekommen war, zu räumen. Um 1/2 4 fingen wir an. Eine Fuhre nach der anderen wurde geladen. Bin im Ganzen an 300 km gefahren. Ich übernehme die letzte Fahrt. Die Einschläge lagen schon dicht neben uns. Iwan lag 2 bis 3 Km vor uns.

Sonst nichts. Wahrscheinlich hatte er es noch garnicht gemerkt, daß wir schon längst weg waren. Bei Anbruch der Dunkelheit um 1/2 7 ging es zurück. Eine herrliche Fahrt. Kein Mensch war mehr zu sehen. Alles brannte. Die Nacht wurde zum Tag. Krieg!

Heute haben wir nun vorläufig Ruhe. Hoffentlich schießen nur unsere Werfer nicht. Sitze augenblicklich am Waldrand vor meinem Lagerfeuer, links eine Schachtel Zigaretten, rechts eine Flasche Feuerwasser. So kann man es aushalten.

Die Stimmung hier ist tadellos. Jeder in der Heimat soll sich ein Beispiel an den Jungen hier nehmen. Den ganzen Tag sind sie im Einsatz, haben oft kaum Zeit zum Essen und Schlafen, aber meckern und am Sieg zweifeln tut hier keiner. Die ganzen Himmelwanzen, die zu Hause meckern, sollte man täglich mit dem Hinterteil unter die kalte Wasserleitung halten, damit si mal zu sich kommen. Jeder, die noch was sagt, kannst Du das von mir bestellen.

Nun will ich aber mal schließen. Alles Gute und

Heil und Sieg!
Günther

Bestell allen Verwandten und Bekannten einen schönen Gruß, da ich nicht so viel schreiben kann. Sende den Brief bitte an Vater weiter.
G.