Günther Roos an Vater Toni, 20. Februar 1945
Im Westen, 20.II.45
Lieber Vater!
Mir geht es einfach blendend. Ist ja auch kein Wunder. Wenn ich auf den riesigen Eichenbaum vor dem Hof klettere, dann sehe ich im Osten durch einen Dunstschleier in der Ferne die 12 Apostel des RWE und das Gruhlwerk. Was ich mir immer gewünscht habe, ist Wahrheit geworden. Ich bin so froh, gerade hier eingesetzt zu sein. Nun kann ich wahrhaft die Heimat verteidigen, und mein Teil dazu mittragen, daß der Amerikaner nicht zu uns nach Hause kommt. Die notwendige Wut habe ich auch schon angesammelt bei meinen Besuchen in Brühl. Dreimal konnte ich hier für fast 24 Stunden zu Hause sein. Leider wurde ich jedesmal regelmäßig um 2 Uhr morgens durch einen Kradmelder wieder aus dem Bett geworfen. Seit dem letzten großen Angriff haben sie noch zweimal abgeladen. Das große Eckhaus gegenüber dem Knotts Hein ist vom Erdboden Verschwunden. Kaum ein Trümmerhaufen ist übriggeblieben. Beim Hei: sind natürlich auch die Bilder von der Wand gefallen, und es wird wohl einige Wochen dauern, bis man dort wieder ein Helles trinken kann. Hiermit ist es ja jetzt überhaupt ziemlich mies in Brühl bestellt. Es besteht praktisch nur noch der "Kölner Hof", der Zigeunerbaron, Rademacher, Schloßbrauerei und Bertram. Mit einem maßlosen Besäufnis ist es jetzt faul bestellt.
Die zweite Bombe fiel in den Schlachthof und tötete unter anderem Herrn und Frau Weiter uns die Großmutter. Karl, der dritte, wurde verwundet. Wenn sie mir auch nicht gerade sympatisch waren, so tut es mir doch leid um die Jungen, die übrig geblieben sind. Wie ich damals für vier Tage am Monatsbeginn zu Hause war, kam sie gleich am zweiten Tag und brachte Fleisch, Eier und Fett. Ja, oft geht es verflucht schnell. Sonst waren in Brühl keine welterschütternden Neuigkeiten. Allgemein ist man überall sehr nervös und pessimistisch. Das war man dort aber schon immer und ist somit keine Neuigkeit.
Ja, und nun zu mir. Sitze jetzt im Keller eines zum größten Teil zerschossenen Hofes. Es ist ein schöner gewölbter Keller, der schon allerhand aushält. Bunker zu bauen ist hier ein ziemlich hoffnungsloser Fall, da schon nach 60 cm Wasser kommt, was nicht schön ist. Hinter mir steht ein kleiner Kanonenofen und glüht und heizt. Motto: Vorn schwitzt man und hinten klappert man mit den Zähnen. Allerdings ist hier schon das herrlichste Wetter. Aus Eis und Schnee fuhren wir innerhalb zwei Tage mit dem neuen Volkswagen in den Frühling. Die Sonne ist schon herrlich warm. Ja, gestern sah ich schon einen Fliederstrauch, der anfing grün zu werden. Wenn man zwei Monate gefroren hat, ist das ein Anblick, schöner als ein nacktes Mädchen. Und Du weißt ja, wie ich Kälte geliebt habe.
Von der Sonne sehe ich allerdings nur wenig. Entweder kreisen Aufklärer über das Gelände oder Jabos stürzen sich auf alles was sich bewegt oder verdächtig aussieht. Und sind sie nicht da, so setzt der Ari wahllos ihre Eier ins Gelände. So muß man sich halt im Keller verkriechen und satt in die Sonne in eine Kerze glotzen. Den einzigen Trost spendet das Radio d.h. wenn es vernünftige Musik bringt wie z.B. jetzt, wo herrliche Operettenmusik gespielt wird. Das kann man hören. Eben war ich aber bald am rasen. Ich rauche nichtsahnend eine Zigarette und starre in die Flammen des Ofens. Da spielt das Radio gerade wutschnaubend dachte, was ich gestern alles noch machen wollte, "Bei Dir war es immer so schön" mit einem tollen Schmalz. Uns dann soll man ruhige Nerven behalten.
Doch nun will ich einmal schließen. Alles Gute und
Heil und Sieg!
Günther