Rudolf Schmitz an Mutter Anna, 12. Mai 1935
Bergheim, den 12.V.1935.
Liebe Mutter!
Unter saftig grünen Kastanien mit ihren keuchen[?] weißen Kerzen, darüber der dunkelblaue Abendhimmel mit der silbernen Mondsichel. Im Westen verglimmt das letzte Licht in rosafarbenem Schimmer. Und in den fahlgelben Abendstreifen über dem Horizont reckt sich der gotische Helm der Pfarrkirche. Wache!
Fliederdüfte umgeben mich, die Luft ist erfüllt von Blumen und Blütenduft. Da wandern meine Gedanken zu Dir, zur Heimat. Wir beide feiern Muttertag.
Sitzen Hand in Hand am Fenster, schauen über Gärten Wiese, Wald in den Abendhimmel, sehen geradewegs bis Mainz, wo unser beider Besitz wohnt, der Besitz um dessentwillen wir uns sorgen und freuen.
Bei Dir bin ich, wenn ich auch fern bin. Bei Dir meinem Ursprung und meinem Leben. Bei Dir meinem Freund und Kameraden.
Leider kann ich nicht kommen, noch einen Blumengruß schicken. Ich muß mich mit der Feder begnügen. Nächsten Sonntag feiern wir Muttertag. Nicht nur dann will ich Dir für alles, alles, was Du mir gibst und
gegeben hast, Leib und Gut, Gesundheit und Erziehung, Religion und Weltanschauung danken. Immer will ich in Dankbarkeit Deiner gedenken. Das Beste, was ich Dir jetzt zum Zeichen meiner Dankbarkeit geben kann, ist ein Gebet zu unserm Herrn, daß er Dich behüte und segne.
Wie schon gesagt nächsten Sonntag komme ich. Wir erhalten jetzt alle vierzehn Tage Heimaturlaub. Wenn es eben geht komme ich dann immer nach Hause. Hier ist alles anders geworden. Außer dem Oberfeldmeister Müller haben wir alles neue Führer. Mein Stubenältester ist von Westhoven gekommen. Er war an der Karl W. Stubenältester. Neue Besen kehren gut. Was soll ich Dir sonst noch schreiben. Bis auf meine Füsse geht es mirgut. Wir haben eine stramme Woche hinter uns. Du mußt schon verzeihen daß ich Dir nicht eher schrieb. Du hast sicher schon heute eine Botschaft von mir erwartet. Es ging wirklich nicht. Gestern waren wir erst um 18.30 mit dem Revierreinigen fertig. Von 8-9 Uhr hatte ich Urlauberkontrolle. Da war natürlich alles zu. Ich konnte keine Karte mehr bekommen. Ich hatte zum Glück ein 2 Pfennig Stück, sonst hätte ich noch keine Freimarke.
Etwas wichtiges!
Vater hat mir die Bescheinigung geschickt. (Ohne ein Wort!)? Sie ist in Form eines Fragebogens der Reichsbahn. Jetzt fehlt sie nur noch von Deinem Vater und Deine Einwilligung zum Eintritt in die Reichswehr.
Schicke mir doch beides sobald wie möglich. Ich muß die Papiere unbedingt nach Dortmund schicken. Ich danke Dir schon im voraus.
Verzeihe mir bitte, daß ich so spät schreibe. Es ging wirklich nicht früher. Wir hatten aber auch keine Minute Zeit.
Jetzt mache ich es mir etwas gemütlich. Vielleicht gehe ich mal ins Kino. Im Lager darf man sich nicht aufhalten. Dann fassen Sie einen und man muß Wache schieben, Telephondienst usw.
Jetzt schließe ich.
Mit herzlichen Grüßen und einem
herzhaften Dankeskuss
zum Muttertag
Dein großer Junge.