Anna Schmitz an ihren Sohn Rudolf, 5. Dezember 1942

Köln-Dellbrück, 5.12.42

Mein lieber Rudolf!

Nikolausabend! Ich sitze, wie so oft, allein, und denke an Dich und an frühere Zeiten, da Du noch Kind warst! Wie lange ist das her, wo bleiben die Jahre? Leider konnte ich Dir in diesem Jahre keine Freude zur Nikolaus machen. Es reicht nicht! Ich denke aber, daß Ihr dort, im Lande des „Zinter Kloos“ feiert. – Ich danke Dir für Deine lieben Briefe vom 30.11. + 1.12. Ich kann mir das schöne Bild des Feierabends, daß Du ausmalst, gut vorstellen. Hoffentlich kommt auch für uns noch mal eine schöne Zeit. Es ist doch sehr lange, schon über 3 Jahre, daß Du fort bist. Ich hatte aber immer so eine Scheu vor dem Kriege. Und wie lange dauert es noch? Wenn ich jetzt so den Karl-Heinz morgens kommen sehe, bin ich doch ein bischen neidisch. Der merkt doch wirklich

nichts vom Kriege. Denk‘ mal, immer zu Hause! Immer werden noch von der Stadt Zimmer für Studenten gesucht, also müssen doch Viele beurlaubt sein. Ich würde aber immer wieder versuchen + einreichen, + besonders mein Alter hervorheben. Das sagt auch Fr. Holz. Ihr Sohn ist im Osten, kommt Weihnachten in Urlaub. Frl Acher hat noch nichts von ihrem Sohn gehört, Lingens auch noch nichts von Hans. Furchtbar, dieses Vermißtsein! – Ich glaube garnicht, daß meine Post alle ankommt! Und so lange dauert es. Hast Du inzwischen Post von mir?

Es ist jetzt rechtes Adventwetter, dunkel + regnerisch. Gestern allerdings war ein herrlicher Tag, Frost, Rauhreif + mittags strahlender Sonnenschein. Da konnte ich nicht wiederstehen, habe mich aufgemacht + bin nach Gladbach gegangen, und habe dort Verschiedenes eingekauft. Auch bis zum Herrenstrundener Wald bin ich gelaufen. Es tut mir ordentlich wohl. Man müßte nur jemand Gleichgesinntes haben, der schon mal mitlief. Ich gehe

ja des Abends öfter zu Ermerts für ein Stündchen. Aber Fr. Ermert, die jetzt bestimmt 3 x in der Woche zum Arzt läuft, erzählt immer von ihren Krankheiten, dann rückt H. Ermert immer aus in sein Zimmer. Gewiß, sie mag ja krank sein, aber, nur an den Körper denken, das gefällt mir auch nicht. Sie hat jetzt tüchtige Hülfe, so daß sie es gut hat. Was die doch für ein Leben haben, wenn ich denke, daß ich doch noch alles allein tue, waschen, putzen, einholen + nähen. Na, es sind auch andere Menschen. Ich bin nur mal gespannt, ob sie sich auch Weihnachten nett machen! Ich glaube ja, daß ich eigen bin + es etwas schwierig ist, mit mir auszukommen, aber, auch daran trägt das Alleinsein viel Schuld. Es ist bestimmt nicht leicht! So wirkt der Krieg sich auf allerlei Arten aus.

In Rußland sind wieder heftige Kämpfe im Gange. Wo die Sowjets alles Material nur hernehmen. Auch in Tunesien kämpfen wir tüchtig. Der Amerikaner wird sich wundern. Das Beste sind ja die Versenkungen, das geht den Westmächten an den Lebensnerv. –

Willi ist hier in Urlaub! Oma geht es wieder gut! Heinrich geht es immer besser, er soll ordentlich essen können. Er schreibt nur an Johanna. Eben habe ich ein Weihnachtspäckchen für ihn fertiggemacht! Die Kinder freuen sich auf Nikolaus + Weihnachten, bes. der kleine Fritz. Der ist es am wichtigsten! Er spricht nur vom großen Weckmann. Ich habe für T. Stina einen gebacken. Vor Weihnachten sollen meine Zähne in Ordnung sein, ich glaube aber nicht daran. Arbeit haben wir reichlich! Morgen werde ich Gerd einen Weihnachtsgruß senden! Da möchte ich mal hin! Aber, man hat so viele Wünsche, + so wenige gehen in Erfüllung. – Hast Du die Weihnachtspäckchen schon bekommen? Bitte verwahre Dir aber etwas Gebäck für die Feiertage, damit Du dann etwas zu knabbern hast. Könntest Du mir nicht einige von Deinen Zigaretten schicken? Otto macht mir etwas für Hanni + Liesel für Weihnachten (Nähkistchen), ich möchte ihm etwas zu rauchen schenken dafür. Es ist spät, ich will schließen, auf den Nikolaus brauch ich nicht zu warten, der kommt

doch nicht zu mir, ich war nicht brav! Mit den besten Wünschen + Grüßen küsst Dich
Deine Mutter.