Rudolf Schmitz an Mutter Anna, 20. November 1935

Iserlohn, den 20.XI.1935

Meine liebe Mutter!

Gestern erhielt ich Deinen lieben Brief vom 17.XI. Wie sehr ich mich über ihn gefreut habe kann ich Dir gar nicht sagen! Er ist mir noch willkommener gewesen als das schöne Paket, dessen Inhalt mir und meinen Stubenkameraden ganz vorzüglich geschmeckt hat. (Die Heringe werde ich heute verkimmeln, als Festspeise) Aber ein so inhaltvoller Brief ist mir doch mehr. Mir ist doch alles so an’s Herz gewachsen. Ich bin bestimmt kein Heimatloser! Mich freut, daß Du jetzt gut verdienst. Aber nochmals bitte ich Dich, arbeite nicht zu toll. 70 Dzd. schon Sonntag, ist das nicht zuviel? Mach Deine Nerven nicht kaputt. Wie gerne würde ich Dir helfen? War doch schön wenn ich abschnitt, umdrehte und Etis annähte! Dazu kamen dann unsere Aussprachen. Wir erzählten uns ja alles! War auch ganz richtig. Unser beiderseitiges Vertrauen ist dadurch gewachsen und wir sind fester zusammengeschmiedet worden. Wir sind zusammen durch manches Mühsal gegangen, hoffentlich gehen wir bald zusammen der Sonne entgegen, zu besseren Zeiten und bleiben uns doch immer so nah wie sonst. Deine Nachricht, daß Du mit Herrn Neuland gesprochen hast hat mich gefreut! Hoffentlich behält der Apotheker recht. Wäre ja zu schön, wenn ich in die Dorotheen Apotheke als

Praktikant kommen könnte. Nahe bei zu Hause. Keine Bahnfahrt, kein Fahrgeld. Du denkst, Rudolf baut wieder Luftschlösser. Muß man ab und zu auch. Besonders in meiner jetzigen Lage. Ich freue mich doch wieder auf das Zivilleben. Möchte doch kein Militär sein. Zudem liegt es ja nicht im Bereiche der Unmöglichkeit. Wollen, wie Du sagst, uns nach unserem Herrgott ausrichten, seinen Heiligen nacheifern und gerade und lebensnahe Menschen sein. Kann mich gut in den Apothekerstand hineindenken. Ich glaube, ich passe zu dem Beruf. Nun wieder zu Deiner Arbeit und Deinem Verdienst. Ich habe bereits geschrieben, wie ich über Anschaffungen denke. Folge mir bitte! Denke an Dich! Versorge Dich einmal. Zieh Dich gut an! Kaufe nach Deinem Geschmack ein, dann freust Du Dich auch immer, wenn es auch etwas teurer ist. Meinst Du, vor Weihnachten bekämst Du keinen Mantel mehr angefertigt. Wäre aber schön! Ich freue mich auf Weihnachten wie ein Kind. Aber auch schon auf den Advent. Hoffentlich können wir dann an den offenen Sonntagen in die Stadt. Dann werde meinen Weihnachtseinkauf machen. Eigentlich das erste Mal so ganz ohne mütterlichen Zuschuß und Rat und Hilfe. Ja es ist nicht mehr weit bis Weihnachten!

Heute war wieder Stuben und Spindrevision. Sie ist schlecht ausgefallen. Also fällt das Ausführen der Rekruten aus. Diese sind aber nicht böse drum. Im Gegenteil. Beim Ausführen darf nicht eingekehrt werden und die Stadt nicht berührt werden. Zudem sind alle froh, wenn sie sich ausruhen können. Denn müde werden wir gemacht.

Jeden Tag um 5 manchmal 4.30 Wecken.

Jeden Tag Reiten. Bedeutet auch eine körperliche Anstrengung. Jeden Tag Stalldienst. (Pferdeputzen, Stallsäubern, Häckselschneiden usw.) Jeden Tag Apell. Dazu kommt noch Artl. Unterricht und Dienst, Inf. Ausbildung. Jetzt auch Karabinerreinigen und Gewehrexerzieren und Freiübungen mit der 9 Pfund schweren Knarre. Alles in allem arbeitsreiche Tage, die verfliegen ehe man es denkt. Trotzt Müdigkeit und Muskelkater fühle ich mich gesund und bin froh und munter!

Merkwürdig aber tatsächlich ist, daß ich, wenn ich wenig zur Kirche komme oder Gelegenheit zum Beten habe, mein Gebet kraftvoller, inhaltvoller, inbrünstiger wird. Stehe unserm Vater näher. Fühle dann erst recht seine Größe und Macht. Ich kann dann so recht für meine Lieben, für Dich mein Alles, für Vater und alle anderen beten! Es ist kein Geschwätz. Will Dich nicht mit dieser Nachricht über etwas, vielleicht über die Leere in mir hinwegtäuschen.

Onkel Georg wird arbeitslos? Hart ist es, besonders für einen starken Mann, der gerne arbeitet. Wir haben es aber auch durchgemacht, unter schlechteren Gesamtverhältnissen. Wir hatten kein eigenes Dach überm Kopf. Wir hatten keine Vorräte. Und trotzdem tut es mir für Onkel Georg leid. Hoffentlich findet sich eine andere Möglichkeit. Bekommt Heinrich eine neue Wohnung? Ist Johanna noch gesund? Was macht Hanni? Warum war Heinrich deprimiert als er den Ersatzreserveschein erhielt?

Es ist gewiß das Ungewisse, wann er gezogen wird. Je früher je besser. Bin froh, daß ich genommen worden bin. Übrigens bin ich dem Nachrichtentrupp zugeteilt worden. Werde wohl kaum Fahrer. Für mich kommt dann wohl Meldereiter usw. in Frage.

Du fragst, wie es mit dem Reiten geht. Vorläufig müssen wir sicher und mutig auf dem Pferd werden.

Wir müssen uns in den Sattel stellen, über den Pferdekopf abgrätschen. Müssen quer übers Pferd den Überschlag machen. Freiübungen im Trab, auf und absitzen im Trab, Rockausziehen im Galopp usw. Haben auch schon zu springen versucht. Alles zusammen mutet wie Zirkuskunst an. Der Wolf geht übrigens langsam weg.

Bestelle an alle viele Grüße. Erzähle ihnen! Und erzähle mir in Deinem nächsten Brief von Allem.

Für heute mal genug. Weiß bald nicht mehr.

Viele herzliche Grüße
und einen Kuss
Dein Rudolf