Rudolf Schmitz an Mutter Anna, 7. November 1935

Iserlohn, den 7.XI.1935

Meine liebe, gute Mutter!

Heute sind wir Rekruten vereidigt worden. Es war ein feierlicher, ergreifender Akt an der die Bevölkerung große Beteiligung nahm. Wir haben einen guten Tag. Um 5 Uhr sind wir aufgestanden, dann Stubendienst, bis 7.30 Stalldienst. Hierauf wurde im Beisein des Abteilungskommandeurs die neue, deutsche Kriegsflagge gehißt. Heute trugen wir zum Ersten den Stahlhelm. Er drückte mächtig. Hatten alle Kopfweh. Nach dem Mittagessen war Ausgang angesetzt. Freuten uns alle! Es gab aber schiefe Gesichter! Der Korporalschaftsführer unserer heißt Hunscher (Unteroffizier) führte uns aus. Es durfte nicht eingekehrt werden. Lediglich einen 1 ½ stündigen Spaziergang um Iserlohn. Wir durften auch nicht in die Stadt.

Gestern war Pferderevision. Sie ist zur Befriedigung des Batteriechefs ausgefallen. Morgen nachmittag ist wiederum Reiten. Dann setze ich mich zum vierten mal auf’s Pferd. Aber nicht nur setzen. Ohne Zügel, ohne Steigbügel im Stand, im Schritt und im Trab aufsitzen. Beim Trab die Schere machen wie am Lederpferd in der Turnhalle. Beim Schritt mit den schweren, langen Reitstiefeln auf den glatten Sattel stellen, über den Kopf abgrätschen. Wir lernen richtig reiten. Reiten ist Mut, sagt man hier!

Wie im Zirkus. Der Spieß ist unser Reitlehrer. Hat seine Reitabteilung aus Abiturienten und Studenten zusammengestellt. Er will den faulen, stinkenden Studikern (auch Hunden) Mumm in die Knochen bringen.

Bis jetzt hat er sich aber getäuscht. Keiner machte schlapp. Reiten ist bestimmt eine Anstrengung. Wir haben dauernd Muskelkater. Die Oberschenkel schmerzen besonders. Die Arbeitsdienstkameraden hab ich leider aus dem Auge verloren. Willi Werner ist beim Stab. Hermann Schmidt ist zwar in meiner Batterie, aber wir sehen uns sehr wenig. Wir haben keine Gelegenheit dazu. Es herrscht hier der alte Schliff. Der Spieß ist der typische Preuß.

Macht aber nichts. Es sind nur 11 Monate. Monate der Prüfung für uns beide, ob wir stark sind, ob wir Mut haben. Du hast ihn, daß hast Du bewiesen. Ich muß ihn noch beweisen. Dieses Jahr soll wiederum ein kleiner Beweis sein. Der Arbeitsdienst kommt mir doch gut vonstatten. Habe doch den Kameraden etwas voraus.

Bin auch gut angesehen. Der Herr Gefreite Kothe verläßt sich schon ganz auf mich. Ich schmeiße den Stubendienst usw. Selbst der H. Hauptmann Schlutius und der H. Oberleutnant Lund kennen mich schon mit Namen. Ein Zeichen ihres Interesses. Der Unteroffizier fragt mich ob ich kapitulieren wolle. Das kommt aber garnicht in Frage. Will wieder zur Mutter, ihr helfen und das Gut, das sie mir tat wieder gutzumachen, sie, wie man sagt, entschädigen. Gelt, Du verstehst mich doch. Ich freue mich riesig darauf wieder zu Hause zu sein und

mit Dir zusammen für unser Fortkommen zu eifern. Hier lernt man erst das Heim schätzen.

Den Apotheker lasse ich nicht aus dem Auge. Ich glaube es ist das Beste für mich. Ich werde bald an die Apothekerschaft schreiben. Ich vergesse es bestimmt nicht. Es ist doch zu wichtig.

Wie geht es Dir? Bist Du auch nicht traurig? Brauchst’s auch nicht? Ich bleibe Dein! Ich vergesse Dich nicht! Wir beide wollen uns ergänzen. Hoffentlich kommt auch Vater noch in unseren Herzensbund! Gehst Du auch zum Zahnarzt? Geh nur ruhig hin! Sorge jetzt mal tüchtig für Dich. Mach Dich nett! Ist ja leicht gesagt! Hoffentlich behältst Du Arbeit? Wie geht’s bei der Oma? Ich will schließen. Es ist Zeit zu Bett zu gehen. Muß mich noch waschen. Dann geht’s in die Klappe. Um 9 Uhr schläft alles!

Herzlich Grüße und Küsse
Dein Junge.

Schreib doch bitte bald mal! Hab schon immer gewartet? Hast doch den ersten Brief erhalten? Nochmals meine Anschrift:
Kanonier
R. Schmitz II.
7. Artl. Regt. 16
Iserlohn
Artl. Kaserne Schulstraße.