Rudolf Schmitz an Mutter Anna, 16. Juni 1935

Bergheim, den 16.VI.1935

Meine Liebste!

Für kurze Zeit lugt die Sonne durch schwere Regenwolken. Ich sitze am offenen Fenster, lese Deinen lieben Brief wohl zum 5ten mal. Jeder Deiner Briefe ist mir ein Stück Heimat. Jeder ging durch Deine liebe, tapfere Hand, mit jedem wolltest Du mir eine Freude bereiten, was Dir immer wieder vollkommen gelungen ist.

Bis auf Dein Schreiben tanzen Samen vom Löwenzahn. Wie im Winter, wenn es zu schneien beginnt, fallen sie zur Erde um guten Boden zur Reife zu finden. Scheinbar reiten sie auf den flüchtigen Sonnenstrahlen. Ihr Träger ist aber der heftige, böige Wind, der uns heute Morgen so übel mitspielte. Wir marschierten im Sportzeug aus. Du weißt ja wo Fortuna liegt. Bis zu dem Sportplatz an dem der Bus in kurvenreicher Abfahrt vorbeibraust. Der Dauerlauf war beendet, wir waren bei der Schwunggymnastik da ging‘s los. Regen wie Bindfäden. Eiskalt brannten die Tropfen auf unsere nackten, braunen Schultern. Tüchtig nass ging’s im Dauerlauf heim. Eine kleine Pause,

wieder lachte die Sonne. Da hab ich mit Zimmermann einen 5 km Lauf in den Betlehemer Wald gemacht. Eine feine Sache. Durch wogende Felder in den saftig grünen Wald. Zurückgekommen, habe ich noch etwas Kugelstoßen trainiert, darauf ein Brausebad genommen. Als ich in die Stube kam, fand ich auf meinem Bett Deinen Brief. Noch außer Atem öffnete ich ihn und habe ihn wohl gleich 3 mal gelesen. Ich kann Dir versichern, er hat mir Freude bereitet. Besonders freut mich Dein Entschluß nach hier in Exerzitien zu kommen. Es sind wirklich herrliche Tage. Tage der Einkehr, der Selbstbesinnung, der Besinnung auf den Lebenszweck, der Rückschau auf die Vergangenheit und der hoffnungsvollen Schau, der willensbestimmten in die Zukunft.

Ich staune mal wieder über Dein Ahnungsvermögen. Der nächste Heimaturlaub ist tatsächlich erst am 7. Juli. Vorher komme ich also nicht nach Haus. Am 30. haben wir Sportfest mit Kameradschaftsabend. Gestern sahen wir geschlossen den Parteitagsfilm „Triumpf des Willens“. Ohne zu übertreiben vielleicht der beste Film den ich sah. Neben prachtvollen Aufnahmen bringt er Persönliches und Charakteristisches. Unsere Herzen schlugen

höher als der Führer zum Arbeitsdienst sprach der eine inhaltvolle Feier in Form eines Sprechchores veranstaltete. Wenn Du Gelegenheit und Geld dazu hast, sieh in Dir einmal an. Ich kann ihn nur empfehlen.

Du schreibst da etwas von Päckchen. Du weißt doch, daß ich nicht so materialistisch eingestellt bin, daß mich nur das erfreut, was den Gaumen kitzelt und den Bauch füllt.

Ich freue mich, daß es Dir wieder besser geht. Hoffentlich bist Du wieder ganz in Ordnung und hast dem Zahnarzt den Rücken gekehrt, wenn wir uns wiedersehen.

Heute nach dem Mittagessen, das prima schmeckte trotzdem Scheer nicht da war (Er ist im Kursus in Buddenbrock.) hab ich mich auf’s Ohr gelegt. Nach 2 stündigem Schlaf habe ich Kaffee besser Tee getrunken, habe die Übertragung vom Nürburgring gehört. Ist Heinrich hingefahren?

Er hatte es sich ja vorgenommen. Ich bin wirklich traurig. Soll Frau Scharrenbroich wirklich etwas im Gehirn haben? Wie schrecklich! Wir wollen Gott für unsere Gesundheit danken vorerst aber für die Kranken beten.

Letzte Woche sind wir verschiedene Male ordentlich naß geworden. Ich bin aber nicht erkältet. Kalte Duschen härten ab. Habe meine Stiefel beim

Schuster. Morgen werden sie fertig. Habe 3 Tage in Bedburg gearbeitet. Jetzt gehe ich zur Post. Bring Dir diesen Brief. Dann lese ich. Habe ein schönes Buch: „Rubin im Basalt“ von Werner Heinen. Etwas romantisch, naturliebend. Dies liegt mir ja! Alle Stubenkameraden sind aus. In Ischendorf ist Kirmes. Gestern Abend haben wir einen Spaziergang gemacht.

In Paffendorf war Schützenfest. Ein richtiges Schützenfest. So stelle ich es mir auch in [..] vor. Uniformen sah man nicht. Es gab ein Tanzzelt, ein par Buden mit Leckereien, Rollmöpsen, Reibekuchen, eine Schießbude und eine Schiffschaukel, das war die ganze Herrlichkeit. Blasmusik, Rheinländer, Walzer, Marsch. Brauchst keine Sorge zu haben, bin gut nach Haus gekommen. Das kommt man nämlich immer wenn man nicht tanzt, nicht raucht, nicht trinkt und keinen Pfennig ausgibt.

Jetzt ist aber Schluß. Ich weiß auch bald nichts mehr. Jetzt bist Du wieder an der Reihe.

An dem anderen Brief hab ich noch nicht gearbeitet. Es wird noch einige Zeit dauern. Ich schicke ihn Dir oder bringe ihn mit auf Urlaub.

Ich habe mich doch entschlossen zu schreiben.

Viele herzliche Grüße an alle Lieben
besonders an Dich
meine liebe, gute Mutter.