Anna Schmitz an ihren Sohn Rudolf, 5. April 1942

Köln-Dellbrück, Ostern 1942.

Mein lieber, guter Junge!

Ostermorgen! Ich war früh zur Kirche, es war feierlich, nun habe ich allein im feiertäglich geschmückten Heim Kaffee getrunken. Gleich will ich noch ins Hochamt, das heute für unsere Soldaten gehalten wird. Alle Feste sind aber doch überschattet von dem großen Kriege. Gewiß, in der Kirche, beim Gottesdienst verliert man die Erdenschwere, vergißt man die täglichen Sorgen, und gerade auch da wieder denkt man zutiefst auch Euch, jeder zunächst an seine Lieben, aber dann auch an alle. Was wäre uns das Leben jetzt ohne den Glauben? Ohne Religion? Sie ist doch der starke Halt in jeder Lebenslage. Durch sie findet man durch alles Leid hindurch. Sie läßt uns erst alles im rechten Licht und in allem den rechten Sinn erkennen. Darum ist es umso bedauerlicher, wenn Kräfte am Werk sind, dieses alles aus dem Volk herauszureißen. Möge unser Herrgott uns helfen, daß der Glaube uns erhalten bleibt! – Nun zu Dir, mein Junge! Ich weiß, auch Du denkst heute morgen an Zuhause, denkst an

unsere früheren, schön verlebten Feste. Ich fühlte es heute früh in der Kirche, daß Deine Gedanken um mich waren. Ich wünsche Dir, daß Du auch ein rechtes Osterfest feiern möchtest. Allerdings das Höchste des Festtages wirst Du entbehren müssen. Bist Du in G. gewesen? –

Am Donnerstag erhielt ich 4 liebe Briefe von Dir zu gleicher Zeit. Eine ganze Woche hatte ich gewartet, nun kam alles zusammen. Es ist eben Krieg, da muß man vorlieb nehmen. Aus allen Briefen lese ich, daß Du gesund + zufrieden bist! Das ist mir Beruhigung, wenn man ja auch weiß, daß bei Euch auch trübe, mißgestimmte Tage kommen. Die haben wir hier auch. Das ist aber mal eine schöne Aufnahme, die mir zeigt, daß Du mit Schwung + Freude beim Training bist. Und so fein bist Du. Ich danke Dir für das schöne Bildchen. Auf die angekündigte Neuigkeit bin ich gespannt! Ja Rudolf auch ich denke wie Du, nur unser Herrgott kann uns helfen + beschützen. Einmal wird wohl auch der Engländer klein werden. Er wird uns ja noch allerlei bringen. Es gibt jetzt immer viele Tote. Gesundheitlich geht es mir soweit gut, bei dem Aprilwetter stellt sich der Rheumatismus ein. Dafür kommt hoffentlich ein warmer Sommer mit viel Sonne.

Soviel ich eben kann, werde ich sie ausnutzen. Soviel Arbeit haben wir ja nicht, augenblicklich wieder Leibbinden. Mein Motor ist nicht in Ordnung, 2 Tage konnte ich nicht nähen. Oma hat ein schlimmes Geschwür mitten auf dem Kopf. Sie hatte alles geschwollen, Stirn, hinter den Ohren und viel Schmerzen. Sie ist bei der Schwester in Behandlung. Einen Arzt wollte sie nicht. Nun ist es auf + der Schmerz hat nachgelassen. Ich hatte Sorge um sie. Fast jeden Tag bin ich zu ihr gegangen. Gern hätte ich ihr gestern ein Blümchen zu Ostern gebracht, aber nichts war zu haben. Ich bin gestern Abend noch mit Elsbeth in den Wald gegangen + habe ein Sträußchen Windröschen gesucht! Ich lege Dir einen Gruß aus dem Thielenbruch bei. Ich dachte an unsere häufigen Spaziergänge am Abend vor Pfingsten u.s.w. Man lebt ja nur noch in der Erinnerung, wenn man so viel allein ist. –

Heinrich schrieb mir auch einen Ostergruß. Er schrieb auch an Oma einen ausführlichen Brief. Er ist wie ausgewandelt, legt den Kindern in jedem Brief ans Herz, zu beten + zur Kirche zu gehen, Johanna hat er gebeten, katholisch zu werden. Er will ihr

noch Näheres schreiben. Ich bin mal gespannt. Er meint, für ihn wäre es gut gewesen, daß er nach Rußland gekommen wäre. Er wäre für sein Leben ein Anderer, in Bezug auf Religion. Oma ist so froh!

Willi hat am Dienstag seinen Urlaub vorbei. Er war noch nicht hier. Jeden Abend ist er raus zu seiner Braut. Schlimm! Onkel Arnold ist auch besser. Nachher werden wohl Hanni + Liesel + Fritzchen kommen. Der Osterhase war arm. Eier gibt es nicht. Überhaupt dass Kaufen ist vorbei. Man bekommt nichts mehr. Ich war bei Holstein + Dürer, keine Tasse, kein Teller ist zu haben. Überall dasselbe. „Der totale Krieg!“ Es tut mir so leid, daß ich Dir zu Ostern keine Freude machen konnte, aber, ich glaube nicht, daß die Päckchensperre aufgehoben wird, die Heimat hat nichts zum Schicken mehr, es muß dann einer Selbstversorger sein. Auch Gerd hätte ich gerne eine Kleinigkeit gesandt! Aber mein Junge, die Hauptsache ist, daß wir uns auch ohne Geschenk gut verstehen. Das ist auch meine größte Freude, und ich danke unserm Herrgott dafür und bete, daß es so bleibt. Und wenn Du mir gesund bleibst, + heil an Leib + Seele zurückkommst, mehr will ich nicht vom Leben. Wenn ich mal erst wieder für Dich sorgen kann!!! Und nun Gott befohlen! Sei auf das Herzlichste gegrüßt + geküsst von
Deiner Dich l. Mutter.