Anna Schmitz an ihren Sohn Rudolf, 9. Oktober 1939

Köln-Dellbrück, 9. Oktober 1939.

Mein lieber Junge!

Nun muß ich gleich 3 Briefe von Dir beantworten! Am Donnerstag erhielt ich Deinen lb. Br. vom Sonntag, d. 1.10., gestern, am Sonntag den vom 6.10., und heute Montag, Deine lieben Zeilen vom 4.10. Für alle die lieben Worte herzlichen Dank. Es tut so gut, wenn man so liebe Worte hört und ich freue mich so, wenn ich sehe, daß Du Dein altes Mütterchen noch gerne hast! Bist auch mein Bester!!! Man empfindet das ja immer am meisten, wenn man getrennt ist, und ganz besonders, in solch ernsten + schweren Zeiten wie die jetzigen. Möge Gott geben, daß Du recht behältst, und daß bald der Friede kommt. Man wüßte ja gar nicht, wie froh man wäre, wenn dieser Druck + diese Unruhe von einem genommen würde. Vielleicht nimmt man ja auch alles zu schwer, und das wirkt sich dann in allem aus, auch gesundheitlich! Ich freue mich, zu hören, daß es Dir gut geht! Es ist jetzt schon so kalt, der Herbst ist gar nicht schön; der Sept. war doch so ungemütlich dunkel + naß und jetzt schon diese Kälte! Wie ist es bei Euch? Hast Du irgendwo ein Plätzchen, wo Du Dich mal wärmen kannst? Und des Abends. Wirst Du auch warm des Nachts? Es wäre ja zu schön, wenn Du mal für ein paar Tage kommen könntest. Wie wollte ich Dich hegen + pflegen. Ich verwahre schon so allerlei für Dich, was Du Dir mitnehmen kannst. Hoffentlich klappt es! Um das Examen mache Dir keine Kopfschmerzen. Das wird so schlimm nicht werden. Du hast doch 2 Jahre fleißig dafür gearbeitet! Am Freitag hat Herr Kirste nochmal Dein Taschengeld, 80 Mk geschickt! Ich dache schon, es wäre nichts mehr gekommen. Vater hat diesen Monat 40 Mk geschickt. Er denkt sicher, ich wäre allein.

Heute, am 10. Okt. schreibe ich erst weiter. Ich hatte nämlich am rechten Zeigefinger ein Geschwür, daß ich bähen mußte, ich konnte ein paar Tage nicht schreiben. Darum ist jetzt der Zwischenraum zwischen meinen Briefen so groß. Es ist schon der zweite Finger, der sich nach der Sache am Bein entzündet. Ich bekomme jetzt Blutreinigungstee. Sonst geht es mir besser. Mach‘ Dir bitte keine Sorge. Ich halte den Nacken steif. Man hat ja auch jetzt wieder mehr Hoffnung, daß es eventuell doch noch gut abginge. Am Freitag habe ich gleich 3 Päckchen zur Post gebracht. Hoffentlich hast Du sie schon. Hat’s geschmeckt? Statt der Wurst hätte ich gerne etwas Schinkenspeck gehabt. Aber Schinken u.s.w. gibt es garnicht mehr. Hast Du nicht gelacht, als Du das Päckchen mit dem Grieß bekamst. Ich denke aber, es schmeckt Dir für einmal. Diese Woche mache ich nochmal ein Päckchen fertig. Man weiß ja nicht, was man schicken soll. Man kann ja nicht einfach kaufen gehen. Aber mein Junge, mache Dir keine Sorge, es geht mir wieder besser. Wir bekommen auch satt. Brot gibt es reichlich, auch mal Brötchen und Süßigkeiten. Kartoffel, Brot + Gemüse ist frei. Nährmittel gibt’s auch genug, also Reis, Mehl, Gries, Haferflocken. Fleisch pro Woche f. 1 Person 300 Gramm, 200 gr. Wurst, Butter 80 gr., Fett 65 gr. Das ist ja nicht zuviel. Dann keine Milch, etwas Magermilch! Und Seife ist sehr knapp. Pro Monat 1 Päckchen Persil + 1 Stückchen Kernseife. Aber, das macht alles nichts. Wenn es nur kein Blutvergießen mehr gäbe, das wäre das Wichtigste! – Hier geht alles so ziemlich seinen alten Gang. Sehr wenig Auto’s in Köln und in der Mittagsstunde ist es sehr still dort. Abends die Verdunkelung ist auch sehr ungemütlich. –

In der Familie gibt es nichts Neues. Heinrich ist noch zu Hause. Alle sind wieder gesund. O. Georg ist in Bad Rothenfelde, wird aber bald zum Ersatzbataillon kommen. Dann schreibe ich Dir die Adresse. Onkel Arnold war ein paar Tage krank, Grippe, es geht aber wieder. Sonntag war Berta hier bis abends. Oma bringt des Abends immer die Hanni. Sie ist noch die alte, immer sorgen + sorgen. Frau Frank ist sehr krank. Sonntag war ich bei T. Marie, sie freut sich immer. Ist immer noch rege. Frau Esser schrieb eine Karte, Karl ist auch im Westen. Johanna leitet eine Filiale in Eilendorf. Sie will bald mal kommen! Ich würde mich freuen. – Frl. Marga schrieb aus Lodz. Dort ist sie bei der Reichsbahn-Direktion. Sie hätte viel Arbeit! – Schmitz Köbes ist auch im Westen. Gestern hat er sein Kind begraben. War nur einen Tag krank. Diphterie. 3 Jahre alt. Auch das ist hart! Alber Perger hat sich freiwillig zu den Fliegern gemeldet. Er hat nur Angst, ehe er fertig ist, wäre der Krieg zu Ende. Er will dabei bleiben. Karl-Heinz hatte einen Finger gebrochen, mit dem Rad gestürzt. Marianne Lingen ist im Bürger-Hospital als Röntgenhilfe. So das wäre so das Neueste. Nun Schluß. Viele herzliche Grüße + Küsse
Deine Dich liebende Mutter,
die immer für Dich betet!

Komme bald!!!!