Rudolf Schmitz an Mutter Anna, 1. Dezember 1935

Iserlohn, den 1.XII.1935.

Meine liebe Mutter!

Wiederum zuerst einen lieben Sonntagsgruß. Heute aber einen ganz Besonderen. Ist es doch kein gewöhnlicher Sonntag. Wir schreiben den 1. Dezember. Der Advent ist gekommen. Freudige Wartezeit. Wir schauen mit leuchtenden Augen nach Weihnachten. Vorigen Mittwoch marschierten wir durch Iserlohn zur Wanderausstellung: „Memelland!“ Unser Marsch ging nicht durch Iserlohns Hauptstraße, sondern abseits, durch die winkligen, holprigen Gassen der Altstadt mit entzückenden bergischen Häusern.

Mit den schieferbedeckten Giebeln schauen die Häuser auf die halbdunkle, sauber gefegte Straße. Unser Schritt hallt durch die Straßen und Plätze. Überall öffnen sich die Fenster. Iserlohn sieht seine Rekruten zum ersten Mal in Marschkolonne durch die schöne Stadt ziehen. Auf diesem Marsch überholte uns ein Wagen. Geladen hatte er – was? – Christbäume! Bei diesem Anblick ging eine Bewegung durch die Kolonne. Auch mich packte dieser Blick. Klar wurde mir mit einmal, wie nach Weihnachten vor der Tür steht.

Du machst Dir doch sicher einen Adventskranz. Ich sehe Dich. Heute wirst Du in der schummrigen Stube sitzen. Dein leuchtendes, vor Freude und fröhlich-

Mit Barbara gibt es nicht’s. Wir haben doch keinen Urlaub. Ist nur Fest für die Unteroffiziere.

banger Sehnsucht feuchtgewordenes Auge sieht in das warme, rote Licht einer Kerze. Durch die blanke Küche geht der Duft von frischem Tannengrün. Ja, ich bin wieder lyrisch geworden. Hoffentlich ist es so zu Hause. Hoffentlich bleibt Dir am 1. Adventssonntag soviel Zeit, daß Du an Weihnachten denkst und auch einmal an mich ein wenig. Ist im Geschäft noch immer Saison? Tut die Maschine noch mit?

In Köln ist sicher alles weihnachtlich? Sind die Straßen schön geschmückt? Viel Schönes im Schaufenster? Jetzt müßten wir Geld haben!

Heute haben wir den Truppenausweis erhalten. Dürfen heute allein zur Stadt. Um 20.00 Uhr muß alles zu Hause sein. Ich will auch gehen. Gehe mit Kam. Linden aus Deutz. Will schon mal für Weihnachten Ausschau halten. Hier regnet es mächtig.

Überhaupt ist in den letzten Tagen schlechtes Wetter. Gestern sind wir wieder ausgeritten!

Gestern war Lohntag. Was denkst Du, was ich erhielt. 50 % Abzüge. 2,50 M. Abz. für W.H.W., Wäsche, Putzbeutel. Ist viel nicht? Was sagst Du zu dem Bild?

Ist bei Dir alles beim Alten? Bist Du gesund? Sei froh und munter! Freu Dich auf Weihnachten! Hoffentlich kann ich nach Haus.

Viele herzl. Grüße u. einen dicken Kuss von Deinem Jungen,
den Du nicht vergessen darfst bes. beim Beten!

Viele Grüße an Fam. Bartz. Habe mich über Ihre liebe Karte gefreut. Habe d. Bild von m. Heim in’s Spind gehangen. Stehe so immer vor der Haustür. Habe aber einen Ankotzer wegen der Adresse erhalten. Sie hatten „An Kan. Herrn R. Schmitz“ geschrieben. Hier gibt es k. Herrn nur Ar..lö -!