Rudolf Schmitz an Mutter Anna, 22. Dezember 1945

Lüdenscheid, den 22.12.45

Mein liebes Mütterlein!

Noch gestern sind alle Ärzte, San. Dienstgrade, Schwestern und Patienten aus der Wehrmacht entlassen worden. Der Abschied ist also genommen und von einem Lebensjahrzehnt, von einer großen Zeit, blieb nichts übrig als einige Medaillen und das Soldbuch, was wir auch noch abgeben sollten. Ich habe es mir als Erinnerungsstück zurückgehalten. Diesen Abschied, oft herbeigewünscht, hatte man sich anders vorgestellt. Vorläufig bleibt Alles beim Alten, nur daß wir Zivilisten sind, und die Stadt Lüdenscheid uns versorgt.

Dadurch wird Verpflegung usw. bestimmt nicht besser. Es wird auch kein Wehrsold mehr gezahlt, 80,00 Rm Entlassungsgeld gibt es. Gestern habe ich meinen gefärbten Rock zurückbekommen, es ist gute, haltbare Farbe; heute muß ich nun zum Schneider um das Futter einnähen zu lassen, dann muß er einmal richtig gebügelt werden.

Mein Bein macht wieder Schwierigkeiten, es hat sich eine neue Fistel gebildet, die noch bis zum Knochen durchgeht. Die Röntgenaufnehme zeigt keine krankhaften Veränderungen. Es ist also anzunehmen, daß es sich nur um Weichteilsachen handelt, vielleicht bin ich doch noch zu früh gelaufen. Na, jetzt pflege ich mich noch einmal tüchtig, denn bald muß ich doch nach Haus, in Verdienst und zum

Studium. Täglich arbeite ich in Chemie, es macht Spaß wieder einmal geistig zu arbeiten.

Wie geht es Dir? Was machen Deine Blutergüsse und anderen Schrammen? Hast Du noch Schmerzen? Wie wirst Du das Weihnachtsfest verbringen? Ich nehme an, daß Du bei Oma sein wirst! Wenn mein Bein wieder etwas besser wird gehe ich vielleicht am 1. Feiertag nach Mittag zu Heidi, die von Weihnachten bis Neujahr einschließlich Urlaub hat. Sicher werde ich dort schöne Stunden verleben können.

Wie geplant werde ich wohl gleich nach Neujahr nach dort kommen. Vielleicht entlassen sie uns auch schon zu diesem Termin.

Grüße alle von mir und wünsche Ihnen auch von mir einen guten Eintritt ins’s neue Jahr.

Mit den herzlichsten Grüßen
und einem festen Kuß
bin ich immer
Dein großer Junge.