Anna Schmitz an ihren Sohn Rudolf, 15. November 1940

Köln-Dellbrück, 15. Nov. 40.

Mein lieber Rudolf!

Gestern schon erhielt ich Deinen lieben Brief vom 8.11. Du kannst aber fragen, natürlich freue ich mich, wenn ein liebes Briefchen von Dir ankommt, und sei es auch noch so kurz. Imponieren sollen Deine Briefe ja auch garnicht, sie sollen ja nur erfreuen, das sollen die meinen ja auch. Sie sollen die Brücke sein, die sich spannt zwischen der Heimat und der Fremde. Es ist ein Glück, daß es das gibt, daß man seine Gedanken austauschen kann. Also, ich danke Dir für jedes liebe Wort, daß Du schreibst. Und sei versichert, daß ich auch jeden + jeden Tag in Gedanken bei Dir bin, ja fast stündlich. Hätten unsere Gedanken + Wünsche Gewalt, Ihr wäret längst wieder zu Hause. Aber, das geht ja auch nicht, erst muß der Engländer klein sein. Es wird ja noch hart werden, er ist zähe + hartnäckig und wird alles daran setzen. Und viele Opfer aller Art wird es noch kosten. Wir wollen beten, daß unser Herr-Gott uns beisteht und uns Kraft + Stärke gibt. –

Also bei Dir ist alles in Ordnung. Das freut mich. Auch hier ist alles gesund. Heute war ich bei Dr. Koerver. Er hat mir etwas für’s Herz verschrieben. Ich schreib‘ Dir morgen, was es ist, ich habe es zu Hause. Er frug nach Dir.

Er meint, ob Du nicht reklamiert würdest zum Studium. Zwei Semester, meinte er, bekämest Du angerechnet. Na, wenn es erst mal so weit wäre. Dann soll es uns auf ein Semester nicht ankommen. Wenn wir alles gut überstanden haben, dann werden wir auch mit Gottes Hilfe weiter kommen. Heute war ein herrlicher Tag, hell + klar + Sonnenschein. Heute Abend steht der Mond am wolkenlosen Himmel. Wenn man hier oben in den Wald hineinsieht, auf den Berg, das ist ein eignes Gefühl. Man möchte wohl hinaus und eine Stunde laufen. Aber jeden Augenblick wartet man ja auf den Alarm. Wo unsere Flieger jetzt dort in England so furchtbar hausen, werden die Engländer auch immer erbitterter. In etwa müssen wir es hier vergelten. Das ist das Schlimme in diesem Krieg, daß alle, alle Leute, Frauen + Kinder gleichermaßen davon betroffen werden. Diese stete Erwartung, ob sie kommen, und was kommt, das kostet Nerven. Aber alles hilft nichts, wir müssen hier durch. Gestern habe ich an Frau Bartz geschrieben. Frau Plantz traf ich heute in Köln. Herr Scharrenbroich läßt grüßen, fragt, ob Du noch [..] R.O. wärest. Tante Stina war heute nach Herrenhöhe. Onkel Arnold muß den Hühnerstall reparieren, ein Wiesel hat ihnen ein Huhn getötet, darob große Aufregung. Besonderes wüßte ich nicht zu berichten. Alles Gute wünsche ich Dir von Herzen + sende Dir viele liebe Grüße + einen treuen Kuß.

Deine alte Mutter.