Anna Schmitz an ihren Sohn Rudolf, 23. November 1945

Köln-Dellbrück, 23. Nov. 45

Mein lieber Junge!

Soeben erhielt ich von Dir 2 Briefe + eine Karte! Vielen Dank, mein Junge. Inzwischen habe ich 2 Päckchen an Dich abgeschickt. Ich vergaß allerdings, Dir die Päckchen als „Einschreiben“ aufzugeben. Hoffentlich kommen sie nun an. Ich habe das Hemd so eingepackt, es wird beim Waschen noch etwas eingehen! Daß mein unfertiger Krawattenposten nicht aufgefunden ist bis jetzt, schrieb‘ ich Dir schon. Frau Jansen will nichts davon wissen. Ich vermute, ihre Schwestern, die hier bei uns eine Zeit gehaust haben, hatten Verbindung

mit Jemand, der sie fertig machen konnte. Es ist doch unverschämt, wenn sie mir noch ein paar Dtzd. gelassen hatte. Es fehlt überhaupt manches. Fr. Lingens erzählte mir, es sei überhaupt zugegangen in unserer Wohnung! Na, das ist ja nicht zu ändern. Es ist jedenfalls gut, daß ich hier bin. Es ist überhaupt jetzt ein unhaltbarer Zustand. Ich kann noch garnichts machen, Kaisers sind noch da, sogar Fr. Kaisers Vater ist noch gekommen. So sind 4 Personen von ihnen hier. Ich komme garnicht weiter. Ich bin recht ungehalten. Ich komme kaum auf meinen eignen Herd zum Kochen. Mit der Wohnung von Kaiser’s klappt

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es noch nicht. Hoffentlich sind sie Weihnachten heraus. Ich habe kaum ein Plätzchen in unserer Wohnung. Da ist es schon besser, Du wartest noch etwas mit Deinem Besuch, so gern ich Dich hier hätte. So, nun habe ich zuerst meine Sorgen vom Herzen geschrieben; entschuldige bitte!

Nun Zu Deinen Briefen, bes. zu dem Ausführlichen! Er hat mich sehr beruhigt. Und dann, Rudolf, will ich Dir ehrlich sagen, also, es ist bestimmt war, ich habe auch über Schwester Heidi nachgedacht, noch gestern Abend, (ich konnte nicht einschlafen). Ich hatte auch gedacht, das wäre eine Frau für Dich! Sie gefällt mir gut, sie war mir

gleich symphatisch, als ich sie sah! Sie ist flink + sauber, in jeder Beziehung, das sieht man ihr an. Aber, auch hatte ich das Gefühl, daß sie evangelisch ist! Aber, das überlasse ich Dir, mein Junge! Du bist alt genug, daß Du in dieser Frage hauptausschlaggebend bist! Ich bin ja froh, wenn Du mit einem netten, lieben, saubern Mädel Verbindung hast! Das braucht ein junger Mensch auch! Und daß sie nicht allzu vornehm ist, ist mir auch recht! Hat sie gute Schulbildung? Ich denke doch! Es ist bestimmt wahr, Rudolf, es muß alles zusammenpassen, Du

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siehst es ja selbst ein. Glaub‘ mir, die erste Leidenschaft geht vorüber, nur das Solide hat Bestand! Wirklich, die Ria war nichts für Dich! Ich gönne ihr ja alles Gute! Mag sie glücklich werden. Du darfst Dich auch ein bischen auf mein Gefühl verlassen! Also, mit einem Wort, Heidi gefällt mir! Ich muß Dir ja sagen, Du hast so überall bei den Mädchen fast den gleichen Geschmack, außer Ria, das war ein ganz anderer Typ. Also, meinen Segen hast Du, wenn die konfessionelle Frage geklärt ist.

Nun zu meinem Besuch! Mein Junge, so gern ich käme, um

mit Dir über alles zu sprechen, besonders jetzt in der wichtigen Frage, es geht jetzt leider nicht. Am Montag wird der junge Mann eine Tür brechen zum Flur, damit sie einen eignen Eingang zur Küche haben. Ich richte mir meine Küche im alten Raum ein. Hoffentlich kann ich es bald. Ich möchte doch einmal wirklich zu Hause sein.

Nun Rudolf, das wäre das Wichtigste. Ich kann nicht gut schreiben. 3 Mann sitzen um mich herum + unterhalten sich! – Heinrich hat geschrieben. Dort ist es auch nicht rosig. Sie bekommen auch kein Fett + Fleisch! Sie mußten sich melden. Der Landrat

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hätte gedacht, sie kämen bald weg! Aber jetzt in der Kälte ist das auch nicht so einfach! Ich bedaure unsere arme Oma. Sie kommt auch nicht zur Ruhe! Ich habe ihr vor einigen Tagen einen ausführlichen Brief geschrieben. Ich wollte, sie wäre bald hier. Rudolf, Du hast doch nichts dagegen, wenn ich ihr zu Weihnachten 50 Mk schicke. Sie bekommt doch keine Rente! Noch eins, Rudolf, wenn Du noch nicht kommst, schicke mir doch baldmöglichst eine Bescheinigung daß ich Geld abheben kann! Laß sie dort stempeln! Ich bin sonst so

sparsam, wie ich kann! Ich denke doch an Deine Ausbildung! –

Und nun zuletzt denke ich an Deine Verwundung. Ich bin so froh, daß es langsam besser geht! Nun schone Dich aber auch wirklich etwas, damit alles gut ausheilt! Und denk‘ an Deine Zähne! Jetzt hast Du es bequem + billig. Laß sie Dir in Ordnung bringen. –

Ja, nun kommt der schöne Advent. Ich freue mich so darauf. Denk‘ Dir, Rudolf, nun fange ich auch wieder mit Singen an. Ich bin innerlich so froh, bin glücklich, daß ich zu Hause bin. So, und nun Schluß! Ich sende Dir, mein Junge, recht liebe Grüße und einen lieben Kuß
Mutter.