Anna Schmitz an ihren Sohn Rudolf, 24. April 1942

Köln-Dellbrück, 24.4.42

Mein lieber Rudolf!

Erst heute komme ich dazu, für Deine lieben Briefe, den ausführlichen vom 15.4. + den vom 16.4. zu danken. Ich wollte es gestern getan haben, aber ich habe wieder 4 Stunden beim Zahnarzt gesessen. Endlich habe ich die letzten 2 Zähne weg, das waren noch mal ein paar ordentliche. Einer hatte 3 Wurzeln! Dr. M. mußte die Wurzel ausbohren. Ich habe noch ein geschwollenes Gesicht, so hat er gearbeitet. Er sagte ich hätte aber auch sehr lange Wurzeln. Ich war ein bischen nervös, bin nun aber so froh, daß ich alles überstanden habe. Rudolf,

um eins bitte ich Dich, gehe zum Zahnarzt, wenn Du Gelegenheit hast, verschleppe es nicht! Man bereut es nachher. Ich spüle fleißig mit Kamillen + hoffe, daß es gut verheilt. Dann dauert es immer noch ein paar Monate, bis ich Ersatz bekomme. – Und nun zu Dir. Ich freute mich ja so, als ich von Dir Nachricht erhielt, und so gute. Ich bin dem lieben Gott so dankbar. Ich fühle mich oft beschämt von seiner Güte. Womit habe ich das verdient, daß er uns so gnädig hilft? Wir wollen ihn nie vergessen + alles in seine heiligen Hände geben. Vergiß auch Du das Beten nicht! Heinrich hat auch an Oma + Joh. geschrieben. Er ist

augenblicklich in seinem Beruf tätig. Das Rußland muß ja ein schreckliches Land sein, was man alles so hört + liest. Die armen Menschen, die dort sind, die lernen den Krieg von seiner grausamsten Seite kennen.

Du warst wieder in Gol? Was macht Gerd? Wie stehst Du zu ihr. Oder hat sie bald einen Verehrer? Schreib‘ mir einmal darüber. Etwas Sorge habe ich ja dieserhalb, ob Du auch brav bist, wenn Du hinfährst!

Nimm es mir nicht übel, Rudolf, aber auch Du bist nur ein Mensch, und ich möchte nur Dein Glück! Ja, dort leben sie wohl wie im Frieden, in jeder Beziehung. Aber wir wollen hier gerne Opfer bringen, wenn das zum baldigen Endsieg hilft.

Es gibt wieder so viel Unzufriedenheit, wenn man die Leute hört. Unser Herrgott mag uns helfen, daß alles zu einem guten Ende kommt.

Heute hörte ich, daß der junge Neurath aus der Holzmühle gefallen sei. Die arme Familie wird auch heimgesucht. Die alte Frau 2 x Fliegergeschädigt, eine Tochter + ein Enkelkind durch Flieger getötet, + nun der Sohn gefallen.

Draußen wird es jetzt so schön grün, langsam fangen die Bäume an zu blühen. Alles geht seinen Lauf nach ewigen Gesetzen, und die Menschen morden sich gegenseitig auf die grausamste Weise. Ist das nicht widersinnig? Du denkst auch, Mutter ist wieder trübsinnig, nein, das bin ich nicht, man denkt zu viel nach.

Ich hatte nach Dausenau geschrieben + angefragt, ob ich in den Ferien dorthin kommen könnte. Heute erhielt ich die Absage, der Sohn sei einberufen, sie nähmen keinen Gäste! Schade!!! Der Tommy hat in der vorletzten Nacht wieder ordentlich in Köln gehaust, schwere Bomber waren hier. Ich glaube, wir gehen noch oft + lange in die Keller.

Also die Urkunden von Mülheim hast Du bekommen, hoffentlich auch inzwischen die andern von Oma + vom Großvater. Ich fand meine noch in der Mappe, ich war im Glauben, ich hätte sie schon geschickt. Anbei folgt sie. Großmutters ist noch nicht da. Sobald ich die Wunden verheilt habe, besorge ich Dir die Taufscheine. Mal sehen, wo ich Oma ihren bekomme. Meinen + m. V.

wohl in Merheim. Ich geh mal hin. Vaters Sachen finde ich nicht, ich wüßte nicht, wo ich noch suchen sollte. Deine ganzen andern Sachen sind da. Hattest Du sie damals nicht in Nippes. Besinn Dich mal. Das ist ja ärgerlich. Dann mußt Du nach Bornheim schreiben. Oder soll ich es tun?

Deinen Rat, für meinen Rheumatismus die Sonne fleißig aufzusuchen, werde ich fleißig benutzen. Noch ist es zu kühl, immer herrscht noch Ostwind. Hoffentlich bekommen wir einen ordentlichen Sommer. Ist es oben denn so warm, daß Du Dich in die Sonne setzen kannst?

So, nun wüßte ich nichts mehr. Bleibe wohlauf + zufrieden. Recht herzliche Grüße + einen festen Kuß

schickt Dir Deine Mama.