Anna Schmitz an Sohn Rudolf, 30. Mai 1937

Köln – Dellbrück, Sonntag-Abend

Mein lieber Junge!

Soeben komme ich nach Hause, kein Mensch im ganzen Hause. Ich war den ganzen Tag bei Oma im Garten. Heute Nachmittag war eine Festfeier in der Kirche, es war sehr erhebend. Nun komme ich ins leere Haus.. So sehr wünschte ich, ich hätte Dich hier. Ich habe heute Abend ein bischen Heimweh nach Dir. Wenn man wenig Arbeit hat, denkt man viel. Ach, auch ich sehne den Herbst herbei, der Dich mir nach Hause bringt. Möchte der liebe Gott es geben. Was hast Du heute angefangen? Es war sehr heiß, doch etwas Luftbewegung. Ihr Armen mit Euren warmen Kleindern. Ich denke so viel an Dich. Ob das daher kommt, dass auch Du viel nach Hause denkst? Auch Vater liegt mir wieder sehr am Herzen. Ihr beiden liebsten Menschen, die mir Gott geschenkt hat. Immer will ich Euch liebhaben und für Euch besonders beten. Gute Nacht mein lieber Rudolf! –

Heute Montag, so ein aufregender Tag, der uns die Schreckensnachricht brachte. Was wird nun? Nur Gott weiß es. Nur bei ihm können wir Hilfe finden. Wie schnell etwas kommt! Ob es ernste Verwicklungen geben. Man fürchtet es fast! Möge Gottes starker Arm uns schützen. Nun bangt so manches Mutterherz, und viele sind in größter Trauer um ihre Söhne. Furchtbares Schicksal! Gottes Wege, unerforschlich sind sie. Ich denke an Dich, mein Liebstes, jede Stunde. Alles nach Gottes Willen! Er ist der einzige Halt!

Dienstag Fortsetzung: Heute hatte ich einen Gruß von Dir erwartet, vergebens. Ich denke + hoffe, dass alles im Geleise ist. Du bist doch gesund? Ich mache mir gleich Sorge, wenn mal nicht alles so klappt! Jetzt überhaupt hat man ja doppelte Sorge. Nun ist es aber nicht mehr so heiß, nicht wahr. Hier hört man jetzt fast den ganzen Tag und auch schon des Nachts schießen. Soldaten sind wohl schon bei den Übungen? Wann kommt Ihr nach Wahn? Dann könntest Du doch wohl mal schnell nach Hause kommen? Mutter würde sich riesig freuen. Es ist doch kein Mensch, der mich so versteht, wie Du. Das entbehre ich auch so, dieses Aussprechen mit Dir, über meine Sorgen, meine Pläne.

Heute Donnerstag. Zunächst, Tante Anna ist in die Ewigkeit hinübergegangen. Heute früh gegen 8 Uhr ist sie still und leise heimgegangen. Nur Karl war da, zur Nachtwache. Die Nacht vorher war ich noch da, da war sie schon sehr schwach! „Der Herr schenke ihr die ewige Ruhe!“ – Für die Mädchen ist es noch zu früh! Anni bekommt ein schweres Los. Morgen ist Herz-Jesu-Freitag + Herz-Jesu Fest! Ich werde besonders an Dich denken. Über Deinen Brief habe ich mich gefreut. Nun zählst Du schon wieder die Tage! Der arme Kamerad aus der 7. B. kommt nun nicht mehr nach Hause! Hast Du wieder Mut? Ich freue mich, dass Du jetzt mit den Stubenkameraden anregende Gespräche führst. Ja, aus allem kann man lernen.

Sonst ist hier alles in Ordnung. Zum Sonntag schon im Voraus viel Freude. Einen herzlichen Gruß + Kuß in alter Treue                  

Deine Mutter.