Anna Schmitz an ihren Sohn Rudolf, 1. Dezember 1942

Köln-Dellbrück, 1.12.42

Mein lieber, lieber Rudolf!

Jetzt setze ich mich aber hin, und schreibe Dir einen ausführlichen Brief. Du mußt entschuldigen, daß ich Sonntag nicht schrieb, ich hatte den ganzen Tag Betrieb! Berta war den ganzen Tag hier zum Backen, zeitweise auch der kleine Fritz + T. St. + O. A. Abends war ich zu müde. Vorigen Sonntag war T. Anna aus Iddelsfeld mit Josef da, in der Woche hat Johanna gebacken, nun hab‘ ich genug davon. Auch ich mußte für die Päckchen noch etwas backen, die mußten ja auch fort. 3 Stück sind unterwegs, in einem findest Du auch endlich den Schlafanzug + das gewünschte Oberhemd. Und morgen, Rudolf, schicke ich auch das Geld an Dich ab. Sei nicht böse, daß es so spät kommt, ich hatte wirklich keine Zeit. Ich habe sehr viel zu nähen, 25 Dtzd Kr. habe

ich hier. Das macht mich auch etwas nervös, dazu an 2 Sonntagen nicht raus. Dabei muß man so oft laufen, um alle Sonderzuteilungen anzumelden und abzuholen. Denn ob ich für eine oder sechs Personen einkaufe, die Lauferei ist dieselbe. So siehst Du, daß die Tage vollauf mit Arbeit ausgefüllt sind. Aber, gottlob, bin ich gesund dabei! Und nun zu Dir. Geht’s Dir gut? Du schreibst es ja in Deinem lieben Brief vom 22.11. für den ich herzlich danke, auch für die Karte vom 25.11. Das ist recht, daß Du Dich aufs Weihnachtsfest freust, auch ich freue mich. Wir sind ja jetzt in der schönsten Zeit, Adventszeit. Leider habe ich keinen Adventskranz. Kein Grün war zu bekommen + keine Kerzen. Ich hole mir welches aus dem Wald. Der Krieg macht sich doch auf jedem Gebiet bemerkbar, Geschenke kaufen kann man überhaupt nicht. Aber darin liegt ja auch nicht die Weihnachtsfreude. Wir haben auch in früheren Jahren schöne Weihnachten erlebt, ohne viele Geschenke. Die innere Einstellung ist die Hauptsache, und ich muß sagen, ich

bin zufrieden + froh und unserm Herrgott dankbar, daß Du noch gesund + wohlauf bist! Bleibt Ihr noch da? Also am Samstag bekam ich noch ein Päckchen mit 3 Kistchen Fisch! Leider war er total verdorben. Nicht ein Stück konnte ich gebrauchen. Schade um die leckere Ware + schade um das Geld. Solche verderblichen Sachen mußt Du nicht so viel kaufen, das liegt zu lange unterwegs. Das Geld schicke ich Dir doch gerne, Du Dummer, ich bin froh, wenn Du Dir etwas kaufen kannst, Bekleidung sowohl, als auch zusätzliches Essen + Obst! Hier bekäme ich noch kaum ein Taschentuch für Dich. Bekommst Du nun hier keine Kleiderkarte?

Gestern kamen aus G. die beiden Briefe an. Ich kann nicht lesen, was Gerd schreibt; übersetze es mir bitte. Meint sie, Du wärest zu Hause? Ich schicke ihr einen Weihnachtsgruß an die Adr. des Briefabsenders. Es sind doch liebe Menschen, die Dich nicht vergessen. Hat Siv eigentlich noch nicht geschrieben??? Lingens beide Töchter wollten zu Weihnachten heiraten, aber nun ist Trauer dort eingekehrt. Elisabeth’s

Schwiegervater ist plötzlich an Nierenschlag gestorben, weißt Du, von dem die schönen Zeichnungen waren, + Mariannes Bräutigam ist vermißt, das U-Boot ist nicht zurückgekehrt. Er könnte ja in Gefangenschaft sein, es ist aber doch unwahrscheinlich! Es tut mir wirklich leid, für die Mutter, als auch für Marianne, sie war doch nun am Ziel. Ist nun nicht überall etwas? Kondoliere aber noch nicht, Marianne weiß noch nichts. Die Mutter in Koblenz hat die amtliche Nachricht erhalten! Später kannst Du ja mal an Fr. Lingens schreiben. Gisela liegt nun schon 6 Wochen im Hospital, erst Gelbsucht, dann Bettlungenentzündung. Ob sie Weihnachten nach Hause kann, ist fraglich. –

Schrieb ich Dir schon, daß Onkel Martin mit Frau + Christel hier waren. Es geht ihnen gut. Bernhard ist am Ilmensee, 3 Monate Frontbewährung, dann kommt er auf eine Offiziersschule. Er + noch ein Abiturient haben von 35 Mann die Vorprüfung bestanden. Er ist ein netter Soldat! Übrigens, bekomme

ich bald ein schönes Bild von Dir? Also mit dem Hütchen ist es nichts. Überall bin ich + auch Berta gewesen. Was noch da war, ist alles verbrannt.

Karl-Heinz Perger ist nun zu Hause. Er sieht schlecht aus. Am 3. beginnt das Semester, für ihn das 5. Ich wollte, Du wärest auch mal soweit! – Heinrich geht es auch besser, er soll riesigen Appetit haben, ein gutes Zeichen. Joh. fährt Weihnachten hin, Oma kommt mit den beiden Kleinen hierher, ich freu mich, dann bin ich nicht allein. 3 Feiertage haben wir in diesem Jahr. Wo wirst Du feiern? Und ob es die letzten Kriegsweihnachten sind? Wer weiß? Immer noch mehr weitet sich der Krieg aus, immer mehr müssen wir leisten. Möge unser Herrgott uns helfen! – Und nun will ich schließen, mit den allerherzlichsten Grüßen + besten Wünschen + einem lieben Kuß
Deine Mutter.