Anna Schmitz an ihren Sohn Rudolf, 11. September 1939

Köln-D. 11. Sept. 1939.

Mein lieber, lieber Rudolf!

Heute, an Deinem Geburtstage, fast zur selben Stunde, da Du vor einem Vierteljahrhundert geboren warst, will ich Dir einen lieben Gruß senden. Er soll Dir sagen, daß ich heute noch mehr als sonst an Dich denke und für Dich bete. Wenn man jetzt nicht beten könnte, stündlich bestürmt man den Himmel für das Wohlergehen aller, die draußen sind! Möchte der allmächtige Herr doch den Völkern Gedanken des Friedens geben. – Wie geht es Dir? Diese Frage stellt man sich wohl unendlich viele Male am Tage? Bist Du wohlauf + wohlgemut? Hast Du gute Unterkunft + Verpflegung? Ist dort heute auch so nasses trübes Wetter? Es liegt richtig auf den Menschen. Bis jetzt war es ja schön!

Über Deinen lieben Brief vom 7.IX., den ich am 9. erhielt, hatte ich große Freude. Du kannst es Dir ja denken. Jetzt fühlt man ja so recht wieder, wie man aneinander hängt! Möge der liebe Gott Dich behüten + beschützen! Das ist des Morgens mein erstes Gebet und des Abends mein letztes! –

Augenblicklich schläft Klein-Hanni bei mir. Oma + Elli habe 2 Nächte hier geschlafen, nachdem die Flieger hier waren, das erste Mal, Montag-Nachmittag war ich Köln, die Nacht darauf hier in der Schule im Luftschutzkeller! Es macht doch sehr nervös! Bald wird wohl Frl. Marga einige Zeit hierherkommen. Herr Barz schrieb, sie

läge in Köln im Krankenhaus und hätte nach Hause geschrieben nach ihrer Entlassung käme sie zu mir. Es ist mir recht, dann bin ich besonders des Abends nicht so allein. Man geht nicht gerne heraus, es ist alles so dunkel. Ich war noch nicht heraus, seit Du fort bist, außer im Dorf und nach Köln. Man hat keine Lust! Hoffentlich dauert alles nicht allzulange! Onkel Georg ist schon im Lazarett, hatte Pech gehabt, Tante Finchen war 2 Tage bei ihm in Gerolstein. Er ist wieder munter, hatte eine Verletzung am Ohr. Esser’s Josef ist wieder zu Hause, ist sehr magenleidend, ist auf dem Wehrbezirkskommando tätig. Viele sind fort in Deinem Alter! In Polen geht’s ja mit Riesenschritten vorwärts. Wie wird es im Westen? Das weiß nur Gott allein! Wenn die Post mal frei wird, soll ich Dir mal etwas zum Lesen schicken? Was denn? Herr Nottbrack ist in der Nacht vorher, als Du gingst, auch ausgerückt. Ich rufe dieser Tage mal bei Herrn Kirste an. Dann schreibe ich Dir sofort! Mein lieber Junge, nun für heute Schluß! Ich sende Dir viele liebe Grüße + einen festen Kuss zum Geburtstag
Deine
treue Mutter

Alle lassen Dich herzlichst grüßen! Alle wünschen Dir viel Glück und baldige Heimkehr, ich ganz besonders.

D. M.