Anna Schmitz an ihren Sohn Rudolf, 28. September 1942

Köln-Dellbrück, 28.9.42

Mein lieber, guter Junge!

Nun wird es aber Zeit, daß ich Dir schreibe. Ich wollte mir dazu aber Zeit nehmen, und Dir einen ausführlichen Brief schreiben. Ich bekam am Freitag eilige Arbeit, die ich heute, Montag-Vormittag abliefern mußte. So habe ich auch gestern gearbeitet, ich war aber noch einige Stunden zur Oma. Und nun habe ich Ruhe zum Schreiben. Am Freitag erhielt ich Deinen lieben ausführlichen Brief vom 18. d. M. und am Samstag-Nachmittag einen Brief vom 19.9. Gleichzeitig kamen am Samstag 6 Päckchen mit Heringen an. Für Deine lieben Worte danke ich Dir besonders. Du brauchst Dich nicht zu entschuldigen, ich kann mir vorstellen, daß Du sehr viel zu tun hast! Klappt es bis jetzt?

Hoffentlich geht alles weiter in Ordnung. Mit den Päckchen hast Du mir und vielen Andern eine Freude gemacht. Sie waren ja etwas durchgeweicht, aber fein sind die Heringe. Ich habe mir ordentlich welche eingelegt, und ich freue mich darauf, sie mit Pellkartoffeln zu verzehren. Also vielen Dank dafür. Das ist eine feine Abwechslung im Küchenzettel.

Ich freue mich, daß es Dir gut geht! Also dort hat es soviel geregnet. Da hast Du ja Glück gehabt, daß Du hier warst, und tüchtig Sonne baden konntest! Ja, Glück muß man haben. Hoffentlich hast Du das auch weiter. Wir wollen nach wie vor uns an unseren Herrgott halten. „Sein Wille geschehe. Wenn wir unsere Pflicht tun, da, wo wir hingestellt sind, tut Er das seinige! Ich bete für Dich und wünsche Dir nur Gutes! – Johanna ist noch in Dresden. Gestern schrieb sie an Oma, daß es Heinrich etwas besser sei.

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Das Fieber sei gesunken, der Arzt sei mit der Wundverheilung zufrieden. Ganz so schlimme Schmerzen habe er nicht mehr. Heinr. selbst schrieb auch einen lieben Gruß an Oma + die Kinder. Er muß viel gelitten haben und sehr schlecht aussehen. Oma ist die Reise an + für sich gut bekommen, Heinrichs Leiden hat sie natürlich angegriffen. Er muß sich riesig über ihren Besuch gefreut haben, ich kann es mir denken. Oma hat aber Hoffnung, daß es gut geht! Möge Gott es geben. Joh. bleibt noch etwas da, sie hat die Kinder ja gut versorgt! – Von Deiner Uniform sehe ich noch nichts. Dein Schlafanzug ist fertig. Ich werde versuchen, ihn beizulegen, wenn es nicht gestattet ist, schicke ich ihn im Päckchen. Natürlich werde ich Dir die Uniform sofort absenden lassen. Ich bin selbst gespannt, wie sie Dir gefällt und paßt! Hast Du eine andere Mütze?

Du wolltest Dir ja auch Einknöpfkragen kaufen.

Habt Ihr Schlachtfest gehalten? Könntest Du mich nicht dazu einladen? Also hast Du nur in kleinem Kreis Geburtstag gefeiert? Hast Du in B. mal in dem Blumengeschäft Nachfrage gehalten? Wie war es mit den bestellten Blumen? Und Liv ist noch krank? Da war es doch wohl etwas Ernstliches? –

Am Mittwoch war ich mit Oma nach Spitze, Pflaumen holen. 25 Pfund habe ich bekommen und alles eingekocht! Mittwoch gehen wir noch mal. Schade, daß ich Dir nicht tüchtig Obst schicken kann. Birnen gibt es jetzt! Schicke mir nur Deine Zulaßmarken. – Ich müßte einen neuen Wintermantel haben, aber es ist wenig zu haben + alles sehr teuer. Wenn ich Dir Stoff kaufen könnte, nähme ich Deinen alten + ließe mir etwas anfertigen daraus. In Punkto Kleider wird es schlimm. Man

3)

hatte zu wenig Vorrat! Und nun hatte ich auch das Pech mit dem schönen Stoff! –

Gesundheitlich geht es mir gut. Das Rheuma macht sich bei dem feuchten Wetter natürlich bemerkbar. Morgen gehe ich wieder zum Zahnarzt. Vorige Woche war ich auch da. Noch mal ein Abdruck, dann kann’s weiter gehen. Ich hoffe, in 4 Wochen meine Sache zu haben. Aber weißt Du, was das Ganze kosten soll? Ich bin fast umgefallen! 455.- Mk. Was sagst Du dazu? 60 Mark bekomme ich von der Kasse. Das schöne Geld! Darf ich es mir nehmen? Wenn ich Dein Geld nun nicht hätte, jetzt, bei dem kleinen Verdienst könnte ich es mir nicht machen lassen. –

Sonst gibt es in der Familie nichts Neues. T. Mal hat seit 6 Wochen keine Nachricht von Paul. Viele Todesnachrichten sind wieder eingelaufen. Herr Richter, der bei

uns im Geschäft war, neben Höller, ist gefallen. Dann der 2te Sohn von Fr. Becker, der kleine, sie wohnten früher an der Krämer’s Ecke, ich glaube, den Säufer nannten sie ihn. Dann ein Völler aus der Hauptstr., dann 3 in der evangelischen Gemeinde. Die Ostfront kostet Opfer. Und Stalingrad. Das ist furchtbar! Ja, unser Herrgott sucht uns heim. Wir können nur beten + hoffen auf bessere Zeiten. Und nun mache ich Schluß. Ich danke Dir nochmals + sende Dir viele herzliche Grüße + einen Kuß
Mutter.

In den nächsten Tagen folgt ein Päckchen!