Anna Schmitz an ihren Sohn Rudolf, 1. Mai 1940

Köln-Dellbrück, 1. Mai 40.

Mein lieber, lieber Rudolf!

Der 1. Mai! Wo bist Du jetzt? Ich vermute, daß Du wohl unterwegs bist, oder vielleicht schon am Ziele angelangt. Ich habe nämlich lange keine Post mehr bekommen. Es ist wunderbares Wetter. Der Mai fängt vielversprechend an. Aber zum rechten Genuß kommt man doch nicht, wenn man an Euch da draußen denkt. Ich war eben ein Stündchen zur Oma. Jetzt sind sie spazieren, Oma, Heinr. Joh. Georg, Finchen. Hanni ist mit Elli zu Hause geblieben, sie sitzen im Garten. Hanni ist ordentlich dünn geworden. Die Sonne tut ihr gut. Jetzt bekommt sie wieder Appetit. Ja, was machst Du jetzt? Man denkt soviel an Euch! Unser Gebet + Gedenken soll stets mit Euch sein. Die Mutter-Gottes möge Euch unter ihren Schutz nehmen + Euch führen. Soviele Frauen + Mütter kommen allein. Möge Gott geben, daß alles nicht allzu lange währt! Vor allem für Euch! Der Engländer bekommt ja jetzt Schlag auf Schlaga. Das Volk dort weiß aber wohl noch nichts Gewisses über die Lage. Wir hatten gestern Abend nach langer Zeit Betriebsappell. Der Redner war gut. Ja, wenn Alle ihre Pflicht voll + bewußt täten!!! Wir wollen uns bemühen, sie zu tun gelt, mein Junge. Manchmal ist man ja noch recht unzufrieden mit sich selbst. Man muß sich immer wieder hochreißen. Vieles

kommt an einen heran, über das man sich ärgert, und das man anders haben möchte! Ja, so ist das Leben. Aber, man muß den Kopf hoch halten, dem Mutigen hilft Gott. Auch uns wird er helfen! Ich habe den festen Glauben. – Was mag Vater nun wohl machen? Es wird wohl nichts passiert sein? Es ist nicht unmöglich! Nun muß ich wieder für die Miete sorgen. Aber, wenn Du nur gesund bleibst, das ist jetzt das Wichtigste! Daran denke ich zu jeder Stunde! Also mein lieber Junge, alles, alles Gute wünsche ich aus ganzem Herzen. Ich sende Dir recht viele Heimatgrüße + einen treuen Mutterkuß
Deine Dich liebende Mutter!