Anna Schmitz an ihren Sohn Rudolf, 25. September 1940

Köln-Dellbrück, 25.9.40.

Mein lieber Rudolf!

Ehe ich zu Bett gehe, will ich noch ein Viertelstündchen mit Dir erzählen. Wie geht es Dir, mein Junge? Gesundheitlich und auch seelisch? Bist Du wohlauf? Dort ist es jetzt wohl schon sehr kalt für unsere Begriffe, denn hier ist es schon ordentlich frisch. Wir sollen ja einen frühen Winter bekommen! Und sonst, wie ist es? Hat Margret sich einmal geäußert, oder schweigt sie? Hast Du es bald überstanden, mein Junge? Ich finde, daß Du in letzter Zeit garnicht auf meine Briefe eingehst? Woran liegt das? Fehlt Dir die Zeit, oder interessiert es Dich nicht mehr, was ich Dir von hier mitteile. Hast Du vielleicht auch manche Briefe nicht erhalten? Hast Du z. B. Bernd’s Adr. erhalten? Willst Du mal schreiben? Hast Du den Zeitungsausschnitt betr. des Studiums erhalten? Was macht Ihr denn des Abend’s. Ist es dort schon früh dunkel? Heute malte ich mir aus, wie es sein würde, wenn ich mich mal wieder auf den Abend, auf Deine Heimkehr freuen könnte, dann wieder mit Dir essen + erzählen könnte! Gebe Gott, daß das doch in nicht allzu ferner Zeit Wahrheit wird. Man sehnt sich so sehr danach. Es ist eine trübe Zeit, wenn es so zum Herbst geht, das drückt

auf’s Gemüt! Das frühe Dunkelwerden, die Finsternis draußen, man scheut sich, des Abends heraus zu gehen. Die bange Sorge jeden Abend vor der Nacht, was wohl kommen mag. Der Krieg ist furchtbar. Möge unser Herrgott uns helfen, daß wir alles glücklich übersehen. Morgen wird es 1 Jahr + 1 Monat, daß Du weg bist. Hättest Du das gedacht? Nicht lange mehr, und Weihnachten steht vor der Tür. Ob Du in diesem Jahr das Fest dort oben feiern wirst? Aber man muß den Kopf hoch halten, es hilft alles nichts. Mut + Gottvertrauen muß man behalten. Noch sind wir ja gesund!

Ich denke, daß ich nun morgen etwas von Dir höre. Ich freue mich immer so sehr über einen lieben Gruß von Dir. Und über die Bilder auch? Hast Du auch mal welche, wo Du selbst drauf bist. Und von der Erika sollte ich doch auch welche haben. So, nun mache ich Schluß. Ich bin müde. Gute Nacht, mein Liebes, und viele herzliche Grüße + einen Kuß in treuem Gedenken + Gebet.

Deine
Dich l. Mutter.