Anna Schmitz an ihren Sohn Rudolf, 1. Oktober 1939

Köln-Dellbrück, 1.10.1939

Mein lieber, guter Jung!

Es ist Sonntag-Mittag. Eben komme ich von Tante Stina vom Essen. Es ist so still im Hause. Ich bin jetzt viel allein. Fr. Jansen geht viel nach Hause + nach Köln. Wärst Du doch nur hier!!! Wie geht es Dir mein Kind? Es ist jetzt schon so kalt, als ob es bald Winter wäre! Bist Du noch gesund? Habt ihr schon warmes Unterzeug + Wollwesten. Vor allem, liegt ihr des Nachts warm? Ich sorge mich so viel. An so vieles denkt man. Nun wird es sich wohl in den kommenden Tagen entscheiden, ob es zum Krieg kommt. Möge Gott den Lenkern der Völker Gedanken des Friedens eingeben, damit es nicht noch zum schlimmeren Blutvergießen kommt! Man würde dann wieder in noch größere Unruhe gestürzt. Doch wir wollen Gottvertrauen haben. Wie Gott es will! So recht zur Ruhe kommt man ja garnicht! Jeder Tag bringt etwas Neues! Bekommt ihr die Post nun bald etwas pünktlicher? Und erhältst Du auch die Zeitungen? Ich schicke sie Dir ja fortlaufend, alle 3-4 Tage. Deine Post ist jetzt in 2 Tagen hier. Also das ist besser geworden. Nun bist Du schon 5 Wochen weg! Wie mag es in 5 weiteren Wochen sein? Alle Welt sieht auf England.

Mit meinem Bein ist es besser. Die Wunde ist fast ganz verheilt. Nur das Bein tut mir noch weh. Ich kann noch nicht anhaltend laufen. Na, es wird schon werden. Am Donnerstag gehe ich noch mal zum Arzt! Heute ist Erntedankfest. Äußerlich wird es nicht gefeiert. Gott sei Dank

es war in allem eine überreiche Ernte! Verhungern tun wir nicht! – Vorgestern kamen Deine Sachen aus Hamm an. Du kannst Dir denken, wie der Anzug aussah, ich bringe ihn morgen zum Schulz, zum Aufbügeln. Gebe Gott, daß ich ihn Dir bald schicken kann. Hat Herr Kirste Dir mal geschrieben? Er hat heute Sonntagsdienst. Wer schreibt Dir sonst? Hier sind schon Soldaten, die in Polen gekämpft haben. Sie haben 10 Tage Urlaub! Onkel Georg ist jetzt bei Osnabrück im Lazarett. Diese Woche soll er entlassen werden. Er schreibt jeden Tag nach Hause. Den alten Leuten wird es doch recht schwer! Ja, man hofft ja immer noch, daß es gut geht, und daß Alle bald nach Hause kommen. Man hört noch nicht, daß sie wieder welche einziehen. Nun fängt es wieder an zu regnen. Es ist vorbei mit dem schönen Wetter. Es waren ja ein paar herrliche Tage. Aber so recht hat man keinen Genuß daran. Man lebt ständig unter einem Druck! Jetzt wird es so früh dunkel, und draußen ist alles so tot, durch die Verdunkelung. Aber das erträgt man schon, wenn keine Flieger kommen! Jeden Abend legt man sich in Sorge zu Bett! Ja, heute leidet jeder unter dem Krieg. – Heute beginnt der Rosenkranzmonat! Es wird viel gebetet! Nun mein Kind ich schließe jetzt. Ich soll Dich grüßen von Schlößers + von allen bei Oma, besonders von Hanni. Sie kommt jeden Abend! Sie ist sehr artig. Ich wünsche Dir von Herzen alles Gute + Liebe, ich denke viel an Dich + vergesse Dich nicht! Ich grüße + küsse Dich recht herzlich + bin in Treue
Deine Mutter.