Anna Schmitz an ihren Sohn Rudolf, 22. September 1939
Köln-Dellbrück, 22. Sept. 1939
Mein lieber, lieber Junge!
Nun will ich Dir auch mal wieder schreiben. Es hat diesmal länger gedauert, Du wirst schon Ausschau gehalten haben. Aber ich habe Pech gehabt. Hatte wohl des Nachts ein Pöckchen aufgekratzt oder ob mich eine Mücke bestochen hatte kurzum, ich bekam eine Blutvergiftung am Bein. Gott sei Dank, nun ist es beigeschlagen und ich gehe morgen zum Arzt. Die erste Nacht, als es so rot wurde, und so rote Streifen am Bein waren, da habe ich große Angst gehabt. Und dann wenn man allein ist. Du kennst mich ja. Morgens um 8 war ich schon bei Dr. Theisen, er war der Nächste. Nun habe ich drei Tage gekühlt, und es ist wieder besser. Nun laß ich mich gleichzeitig mal behandeln mit dem anderen, Du weißt ja: Ich bin jetzt sehr herunter. Die ständige Aufregung, die Flieger, dann daß Du weg bist, und man weiß ja noch nicht, was England macht! Ich glaube, es will nicht den Frieden. Wir wollen aber hoffen + beten. Ja, das tue ich und mit mir vielen Andere. – Nun zu Dir. Wie geht es Dir? Du bist doch hoffentlich noch gesund? Dürft ihr so wenig schreiben, oder habt ihr so wenig Zeit? Für Deinen letzten, langen Brief habe ich mich wohl kurz bedankt. Man freut sich ja jedes Mal so sehr, wenn was kommt! Ich hatte schon mal so leise gedacht, ob Du doch zum Examen gekommen wärst! Ich kann es aber auch verstehen, daß man keinen Urlaub gibt! Nun ist heute der wichtige Tag, auf den Du Dich so lange vorbereitet hattest. Wer hätte das gedacht! Na, ab er alles ist gleich, wenn Du nur bald + gesund nach Hause kommst! Ich bitte den Herrgott täglich darum. Wir kommt es, daß bei Euch das Essen nicht reicht? Von anderer
Seite hört man, das Essen sei sehr gut! Onkel Georg hat doch selbst gekocht. Er ist jetzt in Bad Ems. Mit seinem Ohr klappt es noch nicht! Ich glaube Onkel Willi ist auch in Deine Nähe. Auch Herr Jansen. Man kann euch noch keine Paketchen schicken. Wo alles rationiert ist, bekommt man auch nichts. Von Montag ab gibts Einheitsbrot. Chokolade bekommt man garnicht mehr. Es ist alles verschwunden. Obst kann man nicht schicken, 250 gr. ist doch nichts. Und es geht ja auch zu lange. Unsere Pfirsiche sind reif. Ich glaube 5 Zentner kann Fr. Jansen verkaufen. Das gibt schönes Geld! Für die Frauen wird gut gesorgt. 64 Mark pr. Monat, 20 M. für ein Kind + die Miete. Dann geben die Firmen auch noch dazu. Fr. Jansen pro Tag 1 M. Ich bekomme ja nichts. Ich habe jetzt nur 20 M. verdient. Wir haben wenig zu tun. Jetzt konnte ich 3 Tage ja nichts tun. Ich kann nichts anschaffen. Es gibt ja auch nur auf Bezugscheine. Für Dich könnte ich jetzt garnichts kaufen, weil Du nicht hier bist! Aber, wenn wir nur gesund bleiben. Wir müssen uns durchkämpfen. Habe ich Dir nun genug vorgeklagt? Ich bin aber trotzdem jetzt ruhiger + zuversichtlich. Ich danke Gott, daß das mit dem Knie gut gegangen hat! Also heute habe ich nichts für Dich. Soll ich weiter die Zeitung schicken? Wenn ich wieder etwas habe, bekommst Du auch etwas.
Schade schade, daß Du keine Pfirsiche mitbekommst. Ich mache tüchtig ein, für Dich! Hoffentlich kannst Du sie bald probieren. Nun schreib‘ mir mal bald wieder. Eben höre ich, daß Tante Stina Dir ein Päckchen geschickt hat! Sie kommt jetzt 2 x am Tage + Onkel A. bringt mir mittags das Essen. Oma war 1 x hier + T. Finchen 1 x. Johanna liegt noch mit Kopfgrippe. Elli hat keine Zeit! So bin ich viel allein. Fr. Jansen hat mir einen Krankenschein im Geschäft geholt + Arbeit abgeliefert! Nun höre ich
auf, muß weiter kühlen. Ich hoffe auf baldige, gute Nachricht + sende Dir herzliche Grüße + einen treuen Kuß Mutter. Sei froh + tapfer, mein Kind! Auch ich will es sein.