Anna Schmitz an ihren Sohn Rudolf, 15. November 1939
Köln-Dellbrück, 15. Nov. 39.
Mein lieber Rudolf!
Gestern erhielt ich Deine lb. Zeilen vom 6.11. + heute die vom 10.11. Ich danke Dir dafür und beeile mich, sie Dir zu beantworten. Ich höre, Du bist wohlauf! Gott sei Dank! In dem fürchterlichen Wetter sind fast alle Leute erkältet! Wo bist Du jetzt, ich meine, hast Du des Abends wenigstens eine warme Stube? Hast Du meine Briefe erhalten? Also von der Regierung ist noch nichts gekommen! Ich teile es Dir sofort mit. Du schreibst nichts davon, ob Du eine Eingabe betr. des Studiums gemacht hast? – Du fragst, wann der Krieg zu Ende ist, er hat ja noch nicht begonnen. Die Friedensvermittlungen des belgischen Königs + der holländischen Königin sind ja von England + Frankreich abgelehnt worden. Aber, wie Gott will, er steht über allem + lenkt unser Geschick! Auf ihn wollen wir vertrauen + stark sein, auch wenn es oft schwer fällt! Ich meine ja, jetzt zum Winter kommt es noch nicht zu großen Kampfhandlungen, erst im Frühjahr! Es heißt: „Geduld!“ – Meine Erkältung ist mit Hilfe des leckeren Honigs fast überstanden. Das tut gut. Heute bekomme ich Einquartierung. Dellbr. ist bald ein Heerlager. Fr. Jansen hat 2 Mann, und Fr. Lingens, alles ist belegt! Jeden Morgen ist exerzieren auf dem Schulhof, auf dem Markt, auf der Hardt! Soldaten + nochmals Soldaten. Denk mal morgen wird der Soldat Röhrig begraben, weißt Du der Friseur, der Dich bei Lelbruch[?] oft bedient hat. Er ist in Neuß im Lazarett gestorben. Im Polenfeldzug war er unversehrt geblieben.
Ein Pferd hatte ihn verletzt, er bekam Blutvergiftung + Lungenentzündung. Seine Mutter war bei ihm! Vor 14 Tagen war er auf Urlaub hier. Sie waren auf dem Transport zum Westen! Es ist hart für die Mutter. Marga hat auch nochmal geschrieben. Sie kommt jetzt nach Krakau. Es geht ihr sehr gut, auch wirtschaftlich! Herr Bartz hat um Deine Adresse gebeten, er möchte Dir mal schreiben. Tante Stina hat ihren Soldaten noch immer da, auch Heinrich. – Anbei mein Kind ein bischen zum Knabbern. Ich konnte es nicht eher. Ich hatte ja nicht viel verdient. Und zum 1. hat man allerlei zu erledigen. Nun ist der November schon zur Hälfte herum, es ist ein trostloser Monat! Und dann kommt Advent! Der schöne Advent! Der Auftakt zum Friedensfest.
Pass auf, daß Du das Birnchen findest! Nun laß Dir alles gut schmecken. Sobald ich kann, bekommst Du wieder etwas. Bleibe mir gesund, mein Junge, der liebe Gott möge Dich schützen. Ich sende Dir viele liebe Grüße + Küsse + bin in Liebe
Deine Mutter.