Rudolf Schmitz an Mutter Anna, 26. Mai 1940

Sonntag, den 26.V.

Liebe Mutter!

Fast eine Woche lang habe ich von Dir, liebes Mütterlein, nichts gehört und nicht eine einzige Zeile gesehen. Ich bin in Sorge um Dich, Du verstehst es doch! Hast Du keine Ruhe zum Schreiben? Bist Du sehr nervös geworden? Nur Courage, Mutter! Lange dauert es nicht mehr! Die Kameraden werden es bald geschafft haben. Ich bete für Dich. Der Herrgott wird Dich schützen und uns wieder zusammenführen. Wie geht es Dir? Schreib mir einmal genau, wie Du Dich fühlst!

Bei mir ist alles noch

in bester Ordnung. Ich bin gesund, und im Augenblick auch mit meinem Schicksal zufrieden. Nur, daß wir immer noch untätig sind, ist der bittere Tropfen. Aber hoffentlich sind wir die längste Zeit hier gewesen. Wäre wir eingesetzt gewesen, so wäre ich jetzt auf der Schießschule Jüterbog. So haben wir keine Stelle zum Kursus zugewiesen bekommen. Na, es wird schon klappen!

Eben erhielt ich einen neuen, lieben Brief von Margret. Pfingsten ist sie zu Hause gewesen und hat versucht, so schreibt sie, da, wo es nottat, die Stimmung aufzumöbeln. Dies sei, ihrer Meinung nach, die Pflicht der Jugend zu Haus. Erschüttert hätten sie die feindl. Flieger nicht. In Marburg sei es wesentlich ruhiger. Aber allen

fehlte die rechte Stimmung zum ernsthaften Studium. Mit all ihren Gedanken seien sie bei uns an der Front und bei den Lieben daheim. Um sie brauche ich mir keine Sorge zu machen: Unkraut verginge nicht!

Aber ich tue es um Dich! Schreib‘ doch bald! So ein Mädel, wie die Margret müßte um Dich sein, dann hättest Du viel Trost und Freude.

Mittwoch habe ich Berta geschrieben! Wie geht es allen Lieben in Dellbrück? Oma und Tante Stina leiden doch sicher unter der Spannung und Unruhe. Was machen Nußbaums noch?

Hat Vater immer noch nichts von sich hören lassen? Ist meine Besoldung angekommen? Ist Kamerad Schröder bei Dir gewesen?

Was hat er denn alles erzählt?

Mütterlein, Du schreibst jetzt mehr, ja? Du, dann bin ich die Unruhe los!

Nun liebes Mütterlein wieder einmal einen lieben, frohen und herzhaften Gruß und einen treuen Kuß.

Herzlichst
Dein Junge.