Anna Schmitz an ihren Sohn Rudolf, 11. August 1940
Sonntag, den 11. Aug. 40.
Mein lieber Junge!
So nun habe ich ein paar Stunden geschlafen, Kaffee getrunken, nun will ich Dir Deinen lieben Brief vom 3.VIII. beantworten. Man muß sich jetzt am Tage, wenn man Zeit hat, etwas hinlegen, sonst hält man die Nachtwachen nicht aus. Um 11 ½ Uhr kommen des Abends die Engländer schon + beehren uns bis 2 ½-3 Uhr früh. Schade, daß man in der Zeit untätig sein muß. Wir laufen noch immer rüber zur Schule. Oma sieht schlecht aus. Für alle Leute + Kinder ist es schlimm, aber auch für die, die den ganzen Tag arbeiten müssen. Man hofft, daß es nicht allzu lange mehr dauert. Wenn wir nun den ganzen Winter noch immer nachts heraus müßten, die langen, dunklen + kalten Nächte? Trotzdem immer tüchtig die Abwehr in Tätigkeit tritt, kommen die Lumpen immer wieder, die sind hartnäckig. Na, bald wird man ihnen hoffentlich das Handwerk legen.
So, nun zu Deinem lieben Brief. Man könnte Dich ja fast beneiden, wenn Du es so schilderst, wie es dort ist, aber, man gönnt es Euch. Soll ich Dir einmal etwas Geld schicken. Etwas Anderes hat doch keinen Zweck. Du kannst Dir dann selbst etwas kaufen. Gibt es auch
Obst, oder wächst dort nichts in dem kurzen Sommer. Hier ist man fleißig bei der Ernte. Heute wurde den ganzen Tag eingefahren. Alles hilft. Seit ein paar Tagen ist wieder schönes Wetter, + helle Nächte. –
Ich war dieser Tage mal bei Tante Marie, wollte bei Marie dort mal hören, was Annemie gesagt hatte, da sie ja mit auf dem Friedhof war. Sie wohnt in Frankfurt a. d. Oder. T. Marie hat eine Visitenkarte da: Gerhard Hoeß, Stadtbaurat, Regierungsbaumeister a. D. Sie hat drei Kinder von 10, 8 + 5 Jahren. Der Mann hatte erzählt der Vater hätte nicht gern, daß Annemie hier zum Grabe käme, aber sie hätte jetzt absolut hergewollt. Das Grab sei ihr zu dunkel, wenn Vater es nicht wollte, wolle sie selbst es mal anders machen lassen. Der Vater sei sehr wunderlich geworden. Vorgestern hatte er ja Geburtstag 65 Jahre wurde er alt! Ja, wie noch alles werden wird. Auf jeden Fall ist er sehr einsam. Zu Annemie wird er ja auch nicht mehr so oft fahren können. Das Alter wird sich auch bemerkbar machen. Ich gönne ihm jedenfalls alles Gute! Ich bete für ihn. Aber noch mehr für Dich, mein Kind. Du bist mir doch näher. Ich danke unserm Herrgott,
daß wir uns so gut verstehen. Möge das auch in Zukunft so bleiben. Was an mir liegt, solls so sein. – In diesem Jahr haben wenige an meinen Namenstag gedacht. Tante Finchen war die Einzige, die mir 3 Mark schenkte + Blumen brachte, Willi brachte schöne Aepfel. Oma gratulierte, sie hatte sich beim Heinrich + bei Anna auf Iddelsfeld so angestrengt, daß ich bis November warten soll. Beide hatten eine Tischlampe bekommen. Heinrich + Joh. haben noch nicht mal gratuliert. Ich bin etwas ärgerlich auf die Beiden. Man ist ihnen so gut. Heinr. läßt sich nicht sehen, um mir mal dies + jenes zu machen. Ich habe ihm doch das Rad geliehen. Hoffentlich hält er es in Ordnung, er ist ja so gleichgültig.
Er ist ein großer Egoist. Tante Stina hat den Sonntag als wir nach Honnef waren, die ganzen Auslagen bestritten, da wollte ich nichts von ihr. Na, egal, ich werde es mir merken. Elli hat wohl durch ihren Kram mich vergessen. Du mußt sie sicher gratulieren. Frau Fischer ist ihr Name. Berta kannst Du nach Hause schreiben, Tante Stina nimmt es dann mit! Gebe doch Gott, daß Du nicht allzu lange mehr fortbleibst, dann brauch ich keinen mehr. So nun habe ich Dir genug vorgestöhnt, aber einen muß man mal dazu haben. Sonst, ich lasse den Mut nicht sinken, der liebe Gott verläßt uns nicht. Bleibe weiter gesund Rudolf + laß es Dir gut gehen.
Herzliche Grüße + Küsse
Deine Dich l. Mutter.