Anna Schmitz an ihren Sohn Rudolf, 16. Oktober 1940
Berg.-Gladbach, 16. Okt. 40.
Mein lieber Junge!
Heute erhielt ich schon Deinen lieben Brief vom 11.X. Du kannst Dir ja denken, daß ich mich sehr gefreut habe. Über jedes liebe Wort von Dir freue ich mich ja so sehr. Ja, Rudolf, auch ich wünschte mir, Du könntest mal wieder mit mir wandern. Ich weiß jetzt so viele schöne Wege um Gladbach! Überhaupt, hier möchte ich schon wohnen. Wenn ich nicht dächte, daß wir Beide so viel nach Köln müßten, würde ich mir hier eine Wohnung suchen. Aber es ist für Dich zu viel Zeitverlust! –
Ich hoffe + wünsche, daß es Dir weiterhin gut geht, daß Du wohlauf + zufrieden bist! Ich denke viel an Dich. Du weißt ja, was ich meine. Alles wollen wir in Gottes Hand legen. Heute holte ich Deine Hemden von Lenders ab, sie haben neue Manschetten + je einen neuen Kragen gemacht! So kannst Du sie noch tragen. Das tut mir dann so leid, wenn ich Deine Sachen sehe, und wenn ich in den Kleiderschrank gucke. Aber, alles hilft nichts, wir müssen stark bleiben und Mut behalten. Ich denke, wenn das noch etwas weiter ist mit London, dann geht es doch nicht mehr. Ob wir dann weitermachen? Oder ob das Frühjahr abgewartet wird. Wer weiß es? Na, der Oktober ist ja schon
zur Hälfte herum. Die Zeit fliegt ja. Meinst Du, Du kämest bald mal in Urlaub? Wenn dann doch Ruhe wäre mit den Fliegern. Aber die geben nicht eher nach, bis das sie ganz klein sind! Mir geht es noch gut, auch sonst allen in der Familie. – Übrigens vor einigen Tagen begegnete mir der Öder aus der Kemperbachstraße in Uniform Uffz. der Flak, er ging neben einem Kinderwagen her. Er hat keine nette Frau. Ist also auch schon verheiratet! Hatte er schon eine Existenz? So nun mache ich Schluß, es ist gleich 10 Uhr, wir wollen schlafen gehen. Hoffentlich wird die Nacht nicht zu unruhig. Aber hier habe ich keine Angst! Hier ist, wenn es not tut, ein sehr guter Keller. Also, gute Nacht, Rudolf, bleibe gesund und behalte lieb
Deine
Mutter.
Herzliche Grüße + einen treuen Kuß!