Anna Schmitz an ihren Sohn Rudolf, 27. Oktober 1940

Berg.-Gladbach, 27. Okt. 40.

Mein lieber, bester Rudolf!

Heute wieder einen lieben + herzlichen Gruß. Mein Junge, heute habe ich so viel an Dich gedacht, besonders in der Kirche. Gestern Abend, als ich von Hause fort ging, da war es mir so schwer ums Herz, ich hatte so rechtes Heimweh nach Dir. Könnte ich doch einmal wieder einen rechten Haushalt haben, aber, alles Sehnen hilft nichts! Man muß sich fügen. Heute ist Christkönigsfest. Ich war heute Nachmittag hier in der Festandacht! Sie war sehr schön, auch heute früh war eine gute, erhebende, ernste Predigt. Ja, was wird die Zukunft uns und unserm Vaterlande bringen? Das Pfarrleben hier ist gut geordnet + sehr rege der Kirchenbesuch. Es gefällt mir gut in der Kirche. Was meinst Du, würdest Du nach Gladbach ziehen? Allerdings wäre es für Dich ja umständlich. Unsere Wohnung gefällt mir jetzt nicht mehr so recht. Der Winter ist so teuer, es ist so kalt da. Gestern war ich mal oben bei Jansens, da war es viel wärmer. Ich habe einen schlechten Tausch gemacht. Überhaupt das Haus ist mir garnicht mehr so heimisch. Aber jetzt im Kriege bekommt man schwer etwas Anderes. Ich finde, daß die Luft hier besser ist, sie ist trockener. Na, kommt Zeit, kommt Rat! Vorerst freue ich mich auf einen Besuch von Dir.

Wann wird das sein? Zu Weihnachten? Wie ist es nun bei Dir? Dort sind die Tage wohl schon wesentlich kürzer als hier bei uns? Der Winter wird wohl sehr still + einsam sein dort? Soll ich Dir mal einige Bücher schicken? Und was für welche? Zum Lernen oder zur Unterhaltung? Hier ist jetzt ja natürlich auch der Krieg spürbar. Des Abends soll es in Köln still sein. Kinos + Theater + Concerte sind früh geschlossen um 9 Uhr, wegen der Flieger. Auch in den Lokalen ist früh Schluß, jeder macht, daß er nach Hause kommt, um nicht stundenlang irgendwo im Luftschutzkeller zu sitzen + eventuell gegen Morgen erst nach Hause zu kommen. Hoffentlich werden die Besuche jetzt im Winter doch kürzer. Wenn es so kalt ist, können sich die Engl. doch wohl nicht so lange aufhalten? Hoffentlich!!! – Nun schreib‘ mir mal, was Du darüber denkst, daß ich jeden Abend nach hier fahre? Daß ich so wenig tapfer bin? Ich wollte, ich wäre anders! Es ist aber auch das viele Alleinsein! Wenn Du zu Hause wärst, bliebe ich natürlich auch daheim. Den ganzen Winter über können wir ja auch nicht fahren, dann wird es zu kalt! Na, wir werden ja sehen.

Lieber Rudolf, hast Du die Uhr erhalten, ich hoffe es? Nun hoffe ich morgen zu Hause Post vorzufinden, Dein letzter Brief war vom 15.X. – Also ich sende Dir die herzlichsten Grüße + einen festen treuen Kuß
Deine stets an Dich denkende
Mutter.