Anna Schmitz an ihren Sohn Rudolf, 3. November 1940

Köln-Dellbrück, 3. Nov. 40.

Mein lieber Junge!

Heute erhälst Du einen Gruß von Zuhause. Ich sitze, es ist Sonntag-abend, in der warmen Küche und denke an Dich, habe Sehnsucht nach Dir. Könnte ich Dich herwünschen, ich täte es. Wie schön wäre es, wenn Du mit hier säßest. Wo bist Du, im kalten dunklen Norden. Alle Schönheit, die im Sommer war, ist fort, kalt + dunkel wird es dort oben sein. Mein lieber Junge und doch, wir müssen stark sein + tapfer, so schwer es manchmal ist. Gott schickt uns ja auch diese Zeit. – Heute war ein stürmischer, regnerischer Sonntag. Hoffentlich kommen die Flieger diese Nacht nicht. Letzte Nacht ließen sie uns in Ruhe. Elli scheint Besuch zu haben, sie wollte uns sonst anrufen. Josef wird froh sein, in sein neues Heim zu kommen. Oma + ich waren zu Mittag + zum Kaffee in Iddelsfeld. Anna hatte sich angestrengt + gut gekocht. Leider mußten wir um 5 Uhr nach Hause, weil es früh dunkel wurde. Des Abends, bei der Dunkelheit draußen zu sein, ist nichts, zumal, wenn Fliegeralarm kommt. Das Gefühl, oder vielmehr die Erwartung der Flieger nimmt den Abenden die sonst aufkommende Gemütlichkeit + das Gefühl des Geborgenseins. Eine stille, innere Unruhe läßt das nicht aufkommen. Diese Unruhe macht die Menschen nervös. In Gladbach habe ich die Unruhe nicht. Da kann ich des Abends ruhig sitzen + schreiben, oder, was ich viel tue, flicken. Mit Ruhe lege ich mich

hin. Wie kommt das nur? Ich fühle mich dort, in dem Hause, bei den alten Leuten viel geborgener. So Gott will, wollen wir wieder hin, wenn Josef fort ist. In Iddelsfeld war auch Heinrich mit der Liesel. Wir sprachen von Dir. Er sagte, Du hättest ihm lange nicht geschrieben, ob Du etwas hättest? Onkel Georg mußte heute, wie so oft des Sonntags, bis 2 Uhr arbeiten. Übrigens, Willi hat sich zur Marine angemeldet, ich bin gespannt, ob er tauglich ist. Für 12 Jahre will er sich verpflichten. Viele Jungens melden sich zur Marine die Mehrzahl zu den Fliegern. Jübchen in Iddelsfeld will auch Flieger werden. Tante Finchen ist es ja nicht ganz recht, Onkel Georg aber gibt seine Einwilligung. 16 ½ Jahr ist Willi alt! Ihn zieht es schon früh von Hause fort. Er ist aber dort auch nie anzutreffen. Dann soll ich Dich grüßen von Frl. Diederich. Morgen oder übermorgen will Frau Combüchen mich besuchen. Herr Combüchen arbeitet in Gladbach an einer Tankstelle.

Wie ist es Dir nun, mein Junge. Ob ich bald Post bekomme. Jeden Tag warte ich. Hoffentlich kommt gute Nachricht! Das ist für mich die größte Freude. Gebe Gott, daß wir uns recht bald einmal wiedersehen. Fast 14 Tage des Kurses sind ja schon um! Nun wünsche ich Dir, mein Lieber alles, alles Gute, Gesundheit + frohen, starken Mut. Empfange nun viele tausend Grüße in der Ferne und einen herzlichen Kuß von
Deiner
treuen Mutter.