Anna Schmitz an ihren Sohn Rudolf, 9. November 1940
Köln-Dellbrück, 9. Nov. 40
Mein lieber, lieber Junge!
Heute früh erhielt ich gleich 2 liebe Briefe von Dir, vom 30.10. und vom 2.11. Hab‘ recht schönen Dank dafür. Ich freue mich jedes Mal so, wenn ich von Dir liebe Nachricht habe. Ganz besonders bin ich mit Dir froh, daß Du wieder im alten Quartier bist. Nun machst Du sicher Deine Fahrprüfung, oder sind die Wege jetzt unbefahrbar. Also dort ist schon der Winter eingekehrt. Die Menschen dort haben auch immer eine lange, dunkle Winterzeit. Was machen sie nun? Draußen können sie doch nicht viel tun. – Ich bin so froh, zu hören, daß Du zufrieden bist. Auch darüber, daß die Päckchen, bes. die Uhr gut eingetroffen sind. Ja, mein Junge, nicht wegen Deinem häufigeren Schreiben, sondern, weil die Birnen gut waren, schicke ich Dir mehrere Päckchen hintereinander. Jetzt sind die Birnen alle auf. Mit den Aepfeln muß ich ein bischen sparsamer umgehen, damit ich Dir den ganzen Winter schon mal welche schicken kann. Nun kommt ja bald der Nikolaus. Er wird nicht viel bringen, denn backen kann ich nur zu Weihnachten. Die Butter ist ja knapp, wo ich nur eine Karte habe. Da kann man schlecht etwas absparen. Was soll Dir denn das Christkind bringen? Hast Du einen besonderen Wunsch. Am schönsten wäre es ja, wenn Du gerade zu Weihnachten Deinen Urlaub hättest, oder wie im vorigen Jahr zu Neujahr. Du bist mir aber auch
zu jeder andern Zeit willkommen. Gebe Gott, daß wir uns gesund + froh wiedersehen. Heute konnten wir nicht nach Gladbach, Josef sollte kommen. Hoffentlich hat Elli nicht wieder vergebens gewartet, wie vorigen Samstag. Man ist garnicht mehr gewohnt, den Abend hier zu verbringen, obwohl es ja am gemütlichsten zu Hause ist. Aber in diesem Winter werden wir ja noch mit dem Engländer rechnen müssen, wenn das Wetter nicht allzu schlecht ist. Als ich das letzte Mal schrieb, es war gerade Alarm, da war des Nachts 4 x Alarm, die letzte Entwarnung morgens ¼ vor 7 Uhr. Die Nacht darauf waren sie wieder ordentlich hier in der Kante. Hier in Dellbrück warfen sie wieder Bomben, oben im B.-feld. Gottlob richteten sie keinen Schaden an. Unser Herrgott war uns bis jetzt noch gnädig. Möge er uns + alle weiter beschützen. Rudolf, ich lege Dir ein Meßbüchlein bei. Vielleicht hast Du des Sonntags ein halbes Stündchen frei, da kannst Du still für Dich die Messe beten. Vergiß das Beten nicht, wir können es alle gebrauchen. –
Nun wieder zu Deinen Briefen. Ja mein Junge, ich verstehe, daß es Dir dort in der Stille + Erhabenheit der Natur gut gefällt. Ich glaube, auch mir würde es dort gefallen. Diese weiten Täler, diese großen Wälder! Und so unberührt, und nicht so überlaufen. Genieße nur diese Zeit so gut Du kannst. Es wird Dir später, wenn einmal harte Arbeitsjahre kommen, immer eine schöne Erinnerung sein. Und Du, und alle die vielen Andern, Ihr seid bestimmt noch jung genug, Euch das Leben zu gestalten + es anzupacken. Um mich brauchst Du Dir keine große Sorge zu machen. Ich bin zufrieden, wenn Du es bist, und was ich für Dich tue, tue ich
mit Liebe, dann ist es leicht + macht Freude. Könnte ich Dich erst mal wieder umsorgen und Dich pflegen, Du bist doch mein Lebensinhalt. Na, unser Herr-Gott wird uns helfen, diese angstvolle Zeit zu überstehen. Der Führer hat uns ja in seiner Rede Mut gemacht. Wir müssen aushalten bis zum Endsieg! Wenn wir nur gesund dabei bleiben. Dann wird nachher die Zeit umso schöner. Nun mache ich Schluß, es ist gleich 11 Uhr. Ich glaube, der Engländer kommt nicht. – Gute Nacht mein Kind. Ich grüße Dich recht, recht herzlich und sende Dir einen treuen Kuß
Deine Dich l. Mutter.
Bitte sage Gerd recht schönen Dank für Ihre + Ihrer Mutter Grüße. In den nächsten Tagen schicke ich ihr