Anna Schmitz an ihren Sohn Rudolf, 24. Dezember 1940
Köln-Dellbrück, Weihnachten 1940.
Mein lieber, großer Junge!
Nun ist der Heiligabend und der erste Weihnachtstag vorüber. Es war still + ruhig bei mir. Gestern Abend habe ich mit der Oma am Krippchen gesessen, wir haben ein paar Liedchen gesungen und haben dann still dagesessen, und unsere Lieben in Gedanken aufgesucht. Wohin meine Gedanken wanderten, kannst Du Dir denken. Ich gedachte der Vergangenheit, ich dachte an frühere Weihnachten, dachte auch an Vater, wie und wo er wohl Weihnachten feiert, aber meine innigsten + sehnsüchtigen Gedanken suchten Dich, mein Kind, oben im kalten, dunklen Norden. Und ich fühlte, daß auch Du Dich heimsehntest. Aber eine kleine stille Freude war auch da, denn bald, bald kommst Du ja, so Gott es will. Und dann feiern wir auch Wiedersehensfest! Und so Gott will, wird das so schön, wie Weihnachten. Ich sitze am Schreibtisch, und habe Dein Bild vor mir. So gerne hätte ich Dir zu Weihnachten ein Bildchen von mir geschickt, aber die Näherin hat noch immer nicht mein Kleid fertig, obwohl ich sie so sehr darum gebeten habe. Es ist aber Schluß mit ihr, ich gehe nicht mehr hin, wenn ich das Kleid habe. Und nun werde ich bald hören,
wie Du das Weihnachtsfest gefeiert hast. Natürlich kamen heute früh die beiden, Hanni + Liesel. Ich hatte die Puppen hier, die Elli + ich gekauft hatten. Die Freude war groß. Herr Bartz schrieb auch noch mal + schickte 2 Bildchen, eins von Maria’s kleiner Ursula. Den ersten Brief lege ich bei. Ist er nicht köstlich. Ich habe hellauf gelacht, als ich ihn bekam. Heute Nachmittag bin ich allein ein bischen raus in den Schnee gegangen + dann zum Heinrich. Oma war in Iddelsfeld. Es war richtiges Weihnachtswetter. Der scharfe Frost hatte etwas nachgelassen, es lag noch Schnee und seit gestern Abend und heute den ganzen Tag schneit es so leise + still. Und gottlob haben uns die Engländer in Ruhe gelassen. Sie sind garnicht eingeflogen. Wenn es doch immer so bliebe. Und nun will ich schließen, es ist schon spät, Oma schläft schon. Gute Nacht, mein Junge. Ich sende Dir einen innigen Gruß + Kuß in Liebe
Mutter.