Anna Schmitz an ihren Sohn Rudolf, 30. Dezember 1940

Köln-Dellbrück, 30.XII.40.

Mein lieber, großer Junge!

Bevor das alte Jahr zu Ende geht, will ich Dir noch einmal ausführlich schreiben. Ist es möglich, daß schon wieder ein Jahr herum ist? Im vorigen Jahr, an diesem Tage, warst Du zu Hause, und wir hofften damals bestimmt, dieses Jahr wieder beisammen zu sein. Und gerade in diesem vergangenen Jahr haben wir uns so wenig gesehen, wie noch in keinem zuvor. Ich hatte heute aber noch mal richtige Sehnsucht nach Dir. Und so sehr ich mich ja auf ein Wiedersehen freue, so steht doch dahinter schon wieder der Gedanke an die Trennung. Ob uns das neue Jahr den Frieden bringt? Man wagt es nicht zu hoffen, so sehr man es wünscht. Es wird noch ein langer und harter Kampf werden. Möge unser Gott im Himmel uns helfen und beistehen, daß wir den Sieg erringen. Und für uns wollen wir Kraft + Gesundheit erbitten, daß wir alles das tragen können, was uns noch bevorsteht! Also noch einmal wünsche ich Dir alles Gute im kom-

menden, neuen Jahr. Und so Gott will, morgen, um die Mitternachtsstunde, werden meine Gedanken Dich suchen + finden. Gemeinsam wollen wir an unsern Vater im Himmel denken und ihn um seine Gnade bitten. Auch den Vater wollen wir mit einschließen in unser Gebet. Vergiß das Beten nicht, mein Junge! So Gott will bin ich morgen, Silvester, in Gladbach. Elli ist jetzt hier bei mir, Oma seit Samstag bei Heinrich. Elli bleibt nach Neujahr noch einige Tage hier. Es ist jetzt so schlechtes Wetter und des Morgens so dunkel, da wollen wir nicht gerne nach Gladbach. Und allein ist es ihr zu schwer, wo Josef jetzt fort ist.

Heute erhielt ich nun zwei liebe Briefe von Dir, vom 8.12. + 20.12. Der eine ist also fast 3 Wochen unterwegs. Auch war am Samstag Dein Kamerad Krumsdorf hier. So hörte ich schon das Neueste. Es tut mir doch so leid, daß Du den Skikursus unterbrechen mußtest. Also schon wieder ein Kursus. Ich meine aber, bald wärest Du genug geschult. Deine Schilderung über die Wunderwelt da oben ist so anschaulich, daß ich mir sehr gut ein Bild machen kann. Und ich hätte Dir da 14 Tage gegönnt.

Ob Du noch einmal Gelegenheit dazu haben wirst, ist wohl eine Frage? Und wie lange dauert der jetzt laufende Kursus? – Wie geht es Dir? Bist Du wohlauf, frisch + gesund? Da hast Du als erstes Weihnachtspäckchen eins von H. Kirste bekommen? Wenn Du dankst, dann auch bitte für den Gruß an mich. Er denkt aber treu an Dich, das freut mich. Sind die andern Päckchen nun auch alle zeitig angekommen? Die Beschreibung Deiner Wohnung interessierte mich. Also schön ist’s! Und auch warm? Das freut mich! Man denkt an so vieles, was um Euch ist, für alles sorgt man sich. Es ist gut, daß die Mütter nicht alles sehen. Vielleicht wäre es uns noch schwerer. Ja wie viele Gedanken, wie viele Liebe + Sehnsucht gehen nun wieder durch die Welt. Wie ist der Krieg so schrecklich + grausam. Warum nur immer diese Auseinandersetzungen. Wenn doch nur alle den rechten + guten Willen hätten. Aber, alles ist Gottes Wille! „Gottes Will‘ hat kein Warum!“

Nun sind die Weihnachtsteller bald leer, Hanni + Liesel haben den ihren noch hier, nochmals wohlgefüllt von T. Elli. Sie verspatzen aber alles. Es sind zwei ordentliche Rangen. Bei Schlößers ist noch kein gutes Wetter. Ich glaube, sie sind auch etwas verstimmt, weil ich

jetzt so wenig hinkomme. Berta ist nur des Sonntags da. Sie waren lange nicht mehr hier bei mir. Ein bischen Eifersucht auf die Oma. Du weißt ja. Sonst wüßte ich nichts Neues. Willi muß nächste Woche zur Musterung. Er freut sich. –

Nun lieber Rudolf, fang das neue Jahr gut an und freue Dich auf Deinen, hoffentlich baldigen Urlaub. Wann wird es sein? In alter Liebe + Treue sende ich Dir herzlichste Grüße + einen innigen Kuß
Deine Mutter.

Bitte sage auch Gerd + Ihrer Mama herzliche Grüße!

Übrigens, heute kam das Geld, ich werde Dir nach Neujahr sofort das Gewünschte schicken. Wie Du es machst, ist es gut, mein Junge!
Mutter.