Lüdenscheid, den 23.11.45

Liebes Mütterlein!

Ein rechter Novembertag graut über Berge und Täler, die Stube ist hübsch warm und nach ausgiebigem Mittagsschlaf will ich Dir, liebes Mütterlein, einen lieben und frohen Sonntagsgruß schicken. Eigentlich bin ich etwas enttäuscht, denn ich hatte mit Deinem lb. Besuch gerechnet. Um so mehr bin ich durch die Nachricht von Deiner Erkältung erschreckt. Werde mir bloß nicht krank! Hast Du denn damals in Lüdenscheid gefroren! Du hattest aber auch ein schlechtes Wetter für Deinen Besuch ausgesucht. Gewiß, jetzt ist es mächtig kalt aber dafür trocken und windstill. Schade, daß Du die schönen Sonnentage verpaßt hast! Ich hätte mit Dir so gerne schöne Spaziergänge gemacht. Jetzt muß ich mich auf Winterwäsche durch Heimatwälder und Wiesen vertrösten. Ich wünsche Dir also von Herzen eine gute und schnelle Besserung.

Zu meiner großen Freude, eine richtige Sonntagsfreude ist es geworden, kamen eben Deine beiden Päckchen wohlbehalten an. Habe Du recht herzlichen Dank für Deine

Mühen und Sorgen und für die feinen Sachen. Das seidene Oberhemd paßt wie angegossen und verträgt sich herrlich mit meiner schönen Krawatte. Jetzt kann ich mich doch schon einmal fein machen. Schön sind auch die Manschettenknöpfe, hast Du die selbst angefertigt? Freude macht mir immer wieder die norweger Strickjacke, sie ist immer noch schön und warm, ganz ideal als Hausjöppe. Dann bin ich sehr froh über die Büchersendung, jetzt wird täglich wieder gearbeitet. Die Schuhe trafen rechtzeitig ein, am Montag ist Abgabetag, und ich hoffe sie zum Ende der nächsten Woche fertig zu haben. Zu sagen, daß ich das Taschentuch gebrauchen kann, brauche ich wohl nicht zu sagen! Mütterlein, denke nicht daß ich nur Materialist bin, riesig freute mich selbstverständlich Dein Gruß. Schade, daß Du noch nicht so richtig in unserer Wohnung wirken kannst. Hoffentlich klappt es mit Kaisers Auszug. Empörend und recht ärgerlich ist das Verschwinden von so manchen Kleinigkeiten insbesondere des Postens Krawatten, der Dir eine gute Verdienstmöglichkeit gebracht hätte. Was kann man da tuen, leider wohl wenig, weil eben zuviel Menschen in der

Wohnung gehaust haben. Wie sieht es denn mit Heizmaterial aus? Ist es Dir auch warm genug? Ich möchte Dir gerne vorschlagen noch einmal für 2-3 Tage nach hier zu kommen, ich habe noch etwas für Dich und dann möchte ich Dir noch etwas Geld mitgeben. Dasselbe zu schicken ist wohl nicht möglich und wenn, dann ist es wohl riskant.

Ich würde mich sehr freuen, wenn Du mich noch einmal besuchen würdest, Du weißt Du wirst satt und wirst auch diesmal eine warme und ordentliche Wohnung finden. Dann sähe ich es auch gerne, wenn Du noch einmal kommen würdest, weil wir doch allerlei zu besprechen haben. – Du fragst nach meinem Befinden. Es geht mir gut, das Bein wird langsam besser und bei der Schonung, die ich ihm augenblicklich auferlege werden die Fisteln bis Weihnachten etwa zu sein. Mein Gehen ist wohl auch leichter und beschwerdefreier geworden, bald kann es mit Stock losgehen. Ich befasse mich im Augenblick mit dem von Dir mitgebrachten Benrath „Die Kaiserin Theophano“, und muß sagen, daß es ein wundervolles und lehrreiches, für uns Kölner besonders interessantes Buch ist. Anfänglich durch enorme Familienkunde

und gründliches Wissen um Antike und die Kulturwelt Byzanz etwas schwierig und verworren ist es klar und flüssig zu lesen im Teil der die deutsche Geschichte behandelt. Das Buch regt zum Nachdenken an und ist beste Lektüre. Schade, daß Stätten wie St. Pantaleon jetzt nicht mehr besucht werden können. Bist Du einmal in der Stadt gewesen? Welchen Eindruck macht das heilige Köln der Gegenwart auf Dich?

Leider hast Du den Besuch von Frau Margret Plantz verpaßt, ich finde es nett, daß sie Dich aufgesucht hat, woher wußte sie denn, daß Du wieder zu Hause bist? Was gibt es sonst für Neuigkeiten in Dellbrück? Ich hoffe bald auch dort einmal aufzukreuzen, bestimmt wenn das Gehen mit Stock einigermaßen geht und die Fisteln geschlossen sind. Ich mache mir doch allmählich Sorgen um Beruf und Studium. –

Habt Ihr was von Oma gehört?

An alle Verwandte und Bekannte bitte ich meine Grüße auszurichten.

Dich grüßt mit festem Kuß
Dein dankbarer Junge.