Anna Schmitz an ihren Sohn Rudolf, 10. Dezember 1945
Köln-Dellbrück, 10.12.45
Mein lieber Rudolf!
Dein lieber Brief vom 3.12. kam am Maria Empfängnistag an. Ich danke Dir herzlich für Deine Zeilen. Hast Du auch an den schönen Feiertag gedacht? Ich habe sehr für Dich und Deine Zukunft gebetet. Ich habe das Vertrauen, daß Gott und sein hlg. Mutter uns weiter helfen. Wir wollen fleißig beten! Also hast Du den ersten Adventsonntag schön verlebt. Das habe ich soweit auch, wenn auch nach langen Jahren das erste Mal ohne Adventskranz. Einen schönen Strauß Tannen, Ilex + Kätzchen hatte ich mir aber auch aus den Bergen mitgebracht. Dort war die
Freude groß, als ich ankam. Ich habe dort gut gegessen, 20 Pfd. Kartoffel, eine Flasche Milch + ¼ Pfd. Butter mitbekommen. – Lieber Rudolf, hast Du meine Briefe von vor 2 Wochen nicht bekommen, wo ich Dir meine Meinung über Schw. Heidi schrieb? Und ich bat Dich auch um eine Bescheinigung. Ich stehe ohne Geld da. Es waren allerlei Rechnungen zu erledigen: Licht, Gas, Steuer, [..] b. T. Fina, Miete u.s.w. Übrigens ist Willi Donnerstag nach Hause gekommen. Er hat einen Sehnenriß am Finger. Er ist entlassen aus der Gefangenschaft. Von Oma hört + sieht man noch nichts! Hoffentlich sind sie bei der Kälte nicht unterwegs. Wir sind gerade
zur rechten Zeit angekommen. Wie gehts nun Dir? Was hast Du an der Schulter? Und Dein Bein will immer noch nicht gut werden? Ich glaube, dann mußt Du unbedingt Dich an der Uni in Köln schriftlich anmelden. Alter + Vorstudium u.s.w alles angeben. Ich hörte von weit über 1000 Medizinstudenten seien 250 angenommen worden. Sonst wird es mit dem Sommersemester auch nichts mehr. – Ich habe Pech gehabt. Vorige Woche war ich einen Tag in Gladbach zum Backen bei Elli. Sie hat mehr Brand als ich, so sagte sie, wir sollen zusammen backen. Abends auf dem Heimweg im Dunkel bin ich gefallen. Man muß ja von Elli aus bis Kiepemühle laufen. Elli brachte mich noch bis zur Post. Ich war von einem Auto geblendet, und stolperte über ein Eisen auf dem Bürgersteig, die in Gladbach
vielfach hoch stehen. Ich sehe ganz bunt aus im Gesicht. Ich bin des Abends noch bei Dr. Berh. gewesen. Ich habe einen Bluterguß am Kinn, fast so groß wie ein Ei. Die Nase ist geschunden, einen Finger steif, auch Bluterguß, die Knie geschunden + die Brust tut mir weh. Es ist zum lachen, wie ich aussehe, aber, es war mir nicht zum lachen. Die erste Nacht konnte ich nicht schlafen vor Kopfschmerzen. Ich kann abends zu schlecht sehen. – Und wie wird es Weihnachten. Ich brauche ja nicht zu sagen, daß ich Dich zu gerne hierhätte! Aber nur, wenn es Deinem Bein nicht schadet! Die Reise ist zu umständlich bei der Kälte. Ich will zur Polizei + hole eine Bescheinigung! Ob ich nun komme? Ja Rudolf, könnte ich bei Tage kommen. Und dann muß ich schon Samstag, den 22. kommen. Ob am hlg. Abend noch ein Autobus nach Lüdenscheid fährt, weiß ich nicht. Und Sonntag’s verkehren sie ja nicht! Und dann sitze ich am hlg. Abend
allein, oder bei fremden Leuten. Eigentlich möchte ich dann lieber zu Hause sein, so gerne ich an den Festtagen bei Dir wäre. Dann komme ich lieber gleich nach Weihnachten. Du wärest ja auch dort bei lieben Menschen. Überlege es Dir, wie Du es machst, so ist es gut! Schreibe mir bitte darüber. Übermorgen ziehen Kaspers aus. Dann kann ich endlich an der Wohnung anfangen. Hoffentlich läßt die Kälte etwas nach. Ich hab noch viel Arbeit bis Weihnachten. Wenn es auch keine Geschenke geben, ich freu mich sehr auf das Fest! Die ersten Friedensweihnachten! Nun hoffe ich bald wieder von Dir zu hören. Ich wünsche Dir recht gute Besserung + sende Dir recht herzliche Grüße
Deine Mutter.
Habt Ihr dort auch eine Weihnachtsfeier?