Anna Schmitz an ihren Sohn Rudolf, 19. Dezember 1945
Köln-Dellbrück, 19. Dez. 1945
Mein lieber Junge!
Gestern + heute erhielt ich je einen Brief von Dir. Herzlich danke ich Dir dafür + für Deine liebe Nachfrage nach meinem Ergehen. Mit Sorge lese ich, daß Dein Bein Dir wieder Schmerzen bereitet. Kann das denn ein Arzt nicht konstatieren. Wird der Splitter operativ entfernt. Wie lange doch so eine Wunde braucht, um zu verheilen. Hoffentlich dauert das doch nicht mehr allzu lange. Unter diesen Umständen hättest Du ja wohl auch nicht kommen können, wenn Du auch Urlaub gehabt hättest! Wie leid mir das tut, und auch, daß Du das Fest nicht mit mir zusammen verleben kannst, wirst Du Dir lebhaft vorstellen können. Das hatte ich mir anders gedacht! Aber, ich habe mich in so vieles fügen müssen, auch das muß ich tragen. Ich bin froh, daß Du doch auch einen schönen Tag verleben wirst bei Fam. Schiffer. Ich wünsche Dir von ganzem Herzen ein gesegnetes Fest und schöne Stunden. Vergiß den Weihnachtsgedanken nicht und denke im Gebet auch an mich! Und bete vor allem um Gottes Segen für Deine Zukunft, damit Gott Dir den rechten Weg zeigt + Du ihn auch gehst! Es macht mir viel Sorge, daß Schw. Heidi nicht eines Glaubens mit Dir ist! Ob sie Dir zuliebe konvertiert, ist wohl eine große Frage. Vielleicht ist sie eine gute Protestantin! Was dann? Meine Einstellung kennst Du, Du weißt aber auch selbst, worum es geht. Denke auch ernstlich daran, und an Deine Nachkommen. So leid es mir tut, weil Schw. Heidi auch mir gefällt. Sie ist doch ein nettes Mädel, Du willst ja nur eine Schmeichelei
hören. Also, feire in rechtem Sinn Weihnachten! Nun muß ich Dir also ein Päckchen schicken, mit Gebäck für Dich und der Mappe für Schw. Heid! Ob es noch zeitig ankommt? Und ob Dir die Mappe gefällt? Auch hier ist nichts aufzutreiben! Umso mehr freue ich mich auf Deinen Besuch im Januar. Ich habe so ein kleines wunderhübsches Bäumchen, ich hatte mich schon darauf gefreut, daß Du es schmücken würdest! Nun bin ich mit der Arbeit bald fertig. Ich kann Dir sagen, so schmutzig waren unsere Schränke + Sachen noch nie, in + auswendig. 2 Tage habe ich an der Küche gearbeitet! Ich habe sie auch selbst angestrichen. Nun fühle ich mich endlich wohl in meiner Wohnung. Gott sei Dank ist es die letzte Woche garnicht kalt, daß ist gut für unsere Heizung. Wir bekommen jetzt pro Haushalt 3 Zentn. Briketts. Morgen will ich noch mal nach Kühlheim. Das hilft mir immer etwas weiter. Auch gehe ich ein Mal die Woche nach Iddelsfeld! Anna ist noch dieselbe, sie „kühmt“ mit vollen Schüsseln. Ihr Erzählen muß man schon anhören. Ich bezahle aber alles redlich! Gott sei Dank, daß Du mir Geld schickst. Ich bin nur froh, daß Du verstehst, wenn ich Weihnachten nicht komme. Wenn ich noch im Lazarett schlafen könnte. Aber so müßte ich Heilig Abend + die Festtagsabende vielleicht im kalten Gasthauszimmer sitzen. Und wo Oma hier ist, habe ich auch Gesellschaft. Einen Tag kommt sie zu mir. Heinrich sieht furchtbar schlecht aus. Er hat 3 Wunden am Bein. Er ist ein armer Kerl!
Kaisers haben sich sehr schofel gezeigt – Nichts habe
ich für alle Arbeit + Unruhe + Dreck bekommen. Kaum daß sie sich bedankten. Na, man wird immer klüger. Ich freue mich auf die Weihnachtsfeier in der Kirche! Gott hat uns doch gnädig durch alle Gefahren hindurch geführt! – Flocki kann jetzt auch nicht fahren. Er wäre schon fortgewesen, aber er bekam eine Blutvergiftung an der hand. 2 x ist er geschnitten worden. – Ob Du die Skier verschenken sollst, weiß ich nicht! Auch kann man sie ja nicht hinbringen. Warte damit einmal!
Mir persönlich geht es wieder ziemlich. Das Gesicht ist noch etwas geschwollen, das Kinn, die Nase und um die Augen herum! Auch habe ich ab + zu Kopfschmerzen. Es war eben ein ordentlicher Fall! Ich habe mich sehr über Herrn Kirste’s netten Brief gefreut! Er ist wirklich ein Glückspilz! Unsere Mitbewohner sind ziemlich unruhig. Die Frau ist ein schläfriges, schmutziges Ding. 22 Jahre alt. Na, für solch‘ eine Schwiegertochter möchte ich mich bedanken. Zur Kirche gehen sie auch nicht! Na, das muß jeder selbst wissen! Ich halte mich für mich! So, und nun noch, daß Fritzchen endgültig bei seiner Mutter + T. Stina ist. Berta hat ja keine Stelle. So hat sie Zeit + auch wohl kein Geld für das Kind. Sie ist sehr sauber + akurat mit Fritz. Er sagte selbst nach einigen Tagen: „Ich bin doch lieber hier, als bei Tante. Er merkte wohl, daß Finchen ihn nicht wollte. Nun ist ja auch Willi zu Hause. Es ist auch besser so. Heute war er den ganzen Tag bei mir. Er ist ein lieber, ruhiger Kerl! Und nun für heute Schluß! Gute, recht gute Besserung für Dich + nochmals „Gesegnetes Weihnachtsfest“.
Es grüße + küsst Dich herzlich
Deine Mutter.