Rudolf Schmitz an Mutter Anna, 20. Oktober 1943

Guben, den 20.10.43

Mein liebes Mütterlein!

Für Deine lieben Zeilen, die ich schon heute erhielt, vielen innigen Dank. Ich habe mit Verwundern von dem Bahnunglück gelesen und gratuliere der Oma und Elli zu ihrem Glück im Unglück. Es hätte doch viel schlimmer werden können. Ich hoffe, daß Oma nicht allzuviel Schmerzen hat, der Schlüsselbeinbruch ist ja schmerzlos aber wie ist es mit dem Bluterguß? Pflege die Oma gut, die Ärmste hat es um uns alle verdient. Ich weiß, daß Du Dein Möglichstes tust und ihr gerne hilfst.

Nun zu Deinem Befinden. Mütterlein, es ist gar nicht zu verwundern, daß Du noch schwach bist, Du darfst eben

nicht vergessen, daß Du sehr schwer krank gewesen bist, Du bist dem Totengräber tatsächlich von der Schaufel gesprungen. Du hast das, Gott sei Dank, nicht gewußt. Und dann ist es doch auch gar nicht so schlimm, wenn Du Deine alte Arbeitskraft noch nicht hast. Du brauchst doch im Augenblick auch noch nicht zu arbeiten, ich verdiene ja und ich bin doch so froh, daß ich Dir mit meinen Groschen helfen kann, Dir in ganz bescheidenem Rahmen versuche das gut zu machen, was Du an mir getan hast. Wirklich vergüten kann ein Kind Mutterliebe und Güte überhaupt nie.

Was machen Johanna und die Kleinen? Sind letztere gesund wiedergekommen? Du mußt mir Heinrichs neue Anschrift mitteilen, ich habe ihm lange nicht mehr geschrieben.

Daß Dein Päckchen angekommen

ist, habe ich Dir bereits geschrieben. Der Schlafanzug ist wohlbehalten. Die Jüterbogmappe kommt mit dem Gepäck aus Holland, Wm. Wemhoff schrieb mir, daß die Kiste jetzt abgeschickt worden ist. Vielleicht komme ich mir die benötigten Klamotten in einem Kurzurlaub holen. (Ich werde darüber noch schreiben.)

Mir geht’s gut, die Arbeit macht nach wie vor Spaß. Freitag kommt der Chef von seinem Kuraufenthalt in Bad Gastein zurück, ich bin gespannt wie ich mit ihm auskommen werde, es soll ein schwieriger Vorgesetzter sein. Na, ich habe schon meine Erfahrung. Gestern war ich im Theater. Das Ensemble des Berliner Schillertheater gab als Gastvorstellung Goethes „Clavigo“. Es war ein Erlebnis!

Gute schauspielerische Leistung, gute Aufmachung. Das vollbesetzte Haus brachte herzlichen und stürmischen Applaus.

Wetter immer noch schön, es ist wieder wärmer geworden.

Ali hat wieder einen lieben Brief geschrieben. Ist es nicht merkwürdig, daß ich, kaum hatte ich sie kennengelernt, fort mußte. Es muß sich jetzt eben zeigen ob wir zusammengehören. Die Trennung kann ja auch verbindend wirken!

Neuigkeiten kann ich sonst nicht berichten.

Mit frohem Gruß und festem Kuß
verbleibe ich
Dein
An Dich denkender
Junge.

N.B. Viele Wünsche an Oma zur baldigen Wiederherstellung.