Rudolf Schmitz an Mutter Anna, 23. Oktober 1943

Guben, den 23.10.

Liebes Mütterlein!

Heute kam Dein lieber Brief vom 20. d. M. an, und ich danke Dir recht herzlich. Dein Brief tut mir weh, ich mache mir Sorge um Dich. Schon seit längerer Zeit lese ich aus Deinen Zeilen Unzufriedenheit, deren Ursprung ich verstehe und leider, leider im Augenblick nicht ändern kann. Ich möchte Dir so gerne helfen, Dich glücklich und zufrieden wissen. Ich kann Dir einen leisen Vorwurf nicht ersparen. Mütterlein, vergiß nie wie uns der Herrgott in dieser Not und schrecklichen Kriegszeit beschützt hat, Dich hat er aus schwerer Krankheit gesund gemacht, der Bombenterror ist an Dir und unserem Heim bisher vorbeigegangen, ich bin noch heil und unverwundet trotz des 5. Kriegsjahres, ich bin jedes Jahr in Urlaub gekommen, war froh, glücklich und zufrieden in unserem gemütlichen und netten Heim, wir verstehen uns nach wie vor, und ich

fühle Deine Mutterliebe und Sorge bin glücklich und dafür dankbar. Was bedrückt Dich? Es ist das Alleinsein, Dir fehlt ein Mensch, dem Du Dich ganz mitteilen kannst. Ich bedauere aufrichtig, daß ich keine Braut oder Frau habe, die Dir Tochter wäre, die Dich verehrte und liebte, die Dich ab und an aufmöbeln könnte. Ich glaube, daß Ali oder Gerd oder Siv, das fertig bringen würden, denn ich habe mir die Mädel für die ich mich interessiert habe genau angesehen und mich auch gefragt wie sie zu Dir stehen würden.

Der zweite Grund Deiner Verstimmung ist wohl materieller Art. Hierzu brauche ich wohl nichts zu sagen. Ich verdiene im Augenblick und bin froh Dir meinen kleinen Sold zur Verfügung zu stellen um damit gutzumachen versuchen. Nach dem Krieg müssen die meisten von vorne anfangen, was heißt da sparen?

So, und nun nichts übel nehmen, ich habe so geschrieben wie ich es fühle und für richtig halte.

Meine guten Wünsche sind immer bei Dir, ich wünsche Dir Alles erdenklich Gute. Wie geht’s gesundheitlich, ich hoffe und glaube, daß Du schon wieder kräftiger werden wirst, nur nicht mutlos werden. Ich werde mal nach Holland schreiben um Dir etwas zum Zusetzen schicken zu können.

Was macht die Oma? Ist Heinrich da? Wie geht’s der Iddelsfelder Anna?

Ich fühle mich wohl, die Arbeit der Woche brachte nichts Neues. Am Dienstag besichtigt uns der Artl. Inspekteur. Habe ich Dir schon geschrieben, daß ich im Theater gewesen bin. Ich habe Goethes „Clavio“ gesehen. Das Ensemble vom Berliner Schillertheater mit Quadflieg als Clavigo spielte fabelhaft, das war ein herrlicher Abend. Gestern war im Kino: „die kluge Marianne“ mit Paula Wessely.

Ihr habt wieder einen Großangriff hinter Euch wir haben hier ein bzw. zweimal Fliegeralarm, nämlich zu

gleicher Zeit mit Berlin. Beim letzten Angriff wurden sie von B. abgedrängt und haben ihre Last auf Landgemeinden, Finsterwalde, Senftenberg u. Jüterbog abgeladen. In den Kasernen sind ordentliche Luftschutzkeller! Ist der Eurige fertig?

Wie ist Dein Verhältnis zu Frau Lingens? Kommt Frau Plantz noch? Was erzählt sie vom jungen Glück der jungen Familie? Ist Richard noch in Drammen?

Ich wünsche Dir einen schönen Sonntag und das augenblicklich herrliche Wetter, wie wir es hier haben, dazu.

Mit einem festen Kuß
grüßt Dich Dein
Junge.

Einen herzlichen Gruß an Oma mit dem innigen Wunsch zur baldigen Genesung.

d. O.