Anna Schmitz an ihren Sohn Rudolf, 4. Juni 1942
Köln-Dellbrück, 4. Juni 1942
Mein lieber, lieber Rudolf!
Nun, wo ich wieder etwas ruhig geworden bin, will ich Dir einmal ausführlich schreiben. Du hast sicher schon gewartet! Meinen Brief vom Sonntag wirst Du wohl inzwischen erhalten haben. Jetzt geht auch wieder die Post + die Zeitung erscheint wieder. Heute ist der erste Tag seit dem schlimmen Angriff, an dem tagsüber kein Fliegeralarm war. Vorgestern des Nachts von 12-2 ½, morgens von 7 ¼-8, von 9-10 von 12-12 ½, von 1-2 Uhr. 2 x haben sie einen abgeschossen, und jedes Mal sind Bomben gefallen, auch noch Menschen umgekommen. Gestern konnte ich dann nach Köln fahren, da erst fuhr die Bahn bis zum Heumarkt. Heute wieder nur bis Deutz, weil das große Haus Ecke Friedrich Wilhelm-Str., der häßliche Kasten eingestürzt ist. Auf dem Weg nach Köln mußte ich in Buchheim in den Luftschutzkeller, da haben sie wieder einen abgeschossen. Über Köln wirst Du inzwischen gehört + gelesen haben. Unser schönes, altes, liebes Köln. Die Tränen kamen mir, als ich es sah. T. Finchen war mit. Also, zu beschreiben ist es nicht. Wenn Du kommst, wirst Du es ja sehen. Im Kriegsgebiet kann es nicht schlimmer sein. Überall brennt es noch. Schutt + Asche, Glas + alle möglichen Sachen liegen überall. Alle großen
Kaufhäuser sind weg. Und wie viele Kirchen? Ich schicke Dir eine Zeitung. Darin sind nur die Kirchen der Innenstadt. In Nippes Skt. Josef ist fort, in Deutz die protestantische, in der Ferdinandstr. Skt Urban. Skt. Kolumba + der Dom sollen unversehrt sein. Aposteln sieht traurig aus, ebenso Skt. Maria im Kapitol, Skt. Martin, Maria in der Kupfergasse. Überall die Türme weg. Skt. Gereon Einsturzgefahr. Und alle die armen Menschen, die umgekommen sind oder ihre ganze Habe verloren haben. Tausende sind im Bergischen Land untergebracht 2 ½ Tausend allein in Gladbach! Noch solch‘ ein Angriff, dann ist Köln ganz fort! Der Mülheimer Bahnhof ist ganz zerstört, auch Deine Schule in Deutz. Es gab direkt Ferien. Auch unser Geschäft ist nicht mehr, ich habe vorläufig 8 Tage Ferien, was dann kommt, weiß ich nicht. Fr. Jansen ist auch arbeitslos, auch alles hin. Peters ist eingestürzt, auch Cords. Es ist lebensgefährlich in Köln. Überall wird gesprengt! Also Du machst Dir kein Bild. Hier in Dellbrück sind Bomben in Iddelsfeld + im Baggerfeld gefallen, dann in Holweide. Dort sind Menschen umgekommen. Die Flieger waren so frech, hier den Scheinwerfer haben sie mit Bordwaffen beschossen. So etwas hast Du noch nicht gehört! – Gott sei Dank ist in unserer Familie niemand umgekommen. Josef von T. Anne hat alles verloren. Er war mit Frau+ seinen 3 Kindern im Bunker. – Aus der Gemarkenstraße sind jetzt 4 gefallen. Von Röhrig hier an der
Ecke ein Sohn, von Bosbach der Sohn, (Referendar) aus dem schönen Haus rechts, dem 4 eckigen, und von Hanquet. Die Tochter Margot ist nur kurz verheiratet gewesen + schon geschieden. Sie soll sehr faul sein und nichts getan haben. Die Kleine, Irene soll sehr ungern in ihrem Beruf sein, es wäre viel Zank dort im Hause. Die Margot ist auch wieder zu Hause. Dir Frau hat Frau Lingens geklagt, die Kinder verständen sie nicht. Was haben wir uns da getäuscht! Ich kann nur immer das Eine sagen: wie gut hat uns unser Gott bis jetzt geführt, + ich kann nur immer danken. Immer mehr komme ich zu der Einsicht, daß wir nur an ihn halten sollen. Auch die Sache mit Vater befehle ich ihm an, wie er will. Ich habe da gar keine Wünsche. Auch darüber bin ich ruhiger geworden. Es hatte mich doch mehr auf-
geregt, als ich gedacht hätte. Also Rudolf es ist noch alles in Ordnung + ich freue mich auf Deinen nächsten Brief. Die Zustellung ist jetzt wieder geordnet! Hoffentlich erhalte ich bald etwas. Und nun Rudolf „Gott befohlen!“ Ich empfehle mich Deinem Gebete. Schreib auch mal an Oma kurz. Die armen, alten Leute!
Und nun empfange viele herzliche Grüße + einen Kuß von
Deiner
Mutter.