Anna Schmitz an ihren Sohn Rudolf, 14. Juni 1942

Köln-Dellbrück, 14.6.42.

Mein lieber, guter Junge!

Nun habe ich endlich einen Brief von Dir erhalten, auf den ich so lange gewartet habe. Vielen Dank für Dein liebes, ausführliches Schreiben. Der Brief hat mich sehr erfreut + es tut mir so gut zu lesen, daß Du so viel und treu an mich denkst. Da ist doch wenigstens ein Mensch, dem ich etwas sein kann, und das lohnt zu leben. Weißt Du manchmal hat man Tage da kommt man sich so unnütz vor, weil man für niemanden zu sorgen hat. Immer nur allein für sich. Wenn dann mal wieder so trübes Wetter ist, ists doppelt schwer. Und wenn dann so ein lieber Brief kommt, dann wird man wieder froh! Inzwischen hast Du ja wohl Post von mir bekommen, die Dir sagt, daß ich noch gesund bin + daß wir unser Heim noch haben, Gott sei Dank! Viele tausend Menschen haben alles verloren. – Da ich niemand Anderes

hatte, bin ich heute mit A. Böhner aus gewesen. Wir waren nach Gladbach über Rommerscheidt, Romeney und Combüchen, ein nettes, kleines Nestchen. Es war eine Lust durch die schönen Ährenfelder + blühenden Wiesen zu wandern. Alles steht so wunderbar. Möge doch unser Herrgott geben, daß es alles weiter gedeiht + gut eingebracht wird. Auf dem Rückweg kamen wir durchs Schladertal + da war ich nochmal in der Ecke wo wir schon öfter gesessen haben, in dem Steinbruch. Alles ist da bewachsen. Ich fand die ersten Walderdbeeren + auch das Blümlein Ehrenpreis, daß ich Dir sende als einen Gruß aus heimischen Gefilden. Ich dachte an Dich, als ich es pflückte! Ja, wann werden wir noch mal zusammen wandern können.

Seit Freitag habe ich wieder Arbeit, Leibbinden. Ich verdiene ja wenig, aber vorläufig ist nichts zu ändern. Die Firma ist in der Nähe notdürftig untergekommen. Ich bin mal durch die Stadt gegangen, soweit man durchkonnte. Du machst Dir kein Bild von der Verwüstung. Viele Soldaten sind zu den Aufräumungsarbeiten

eingesetzt. Bis jetzt soll keine Stadt so mitgenommen sein. Ist das nicht traurig? Die Flugblätter sagen ja, nur der Dom bliebe stehen. Na, Du wirst es ja sehen.

Ich lege Dir eine Abrechnung bei! Heute erhielt ich von Heinrich Nachricht, er ist in Dresden im Lazarett, er wird Dir auch wohl schreiben. Frau Plantz schrieb aus Hönningen, wohin sie nach dem Angriff für 4 Wochen gefahren ist, daß Richard Fleckfieber gehabt hat und zur Genesung nach Thüringen gekommen ist! Frau Plantz + auch unsere Oma sind etwas aus der Sorge! Heute schickte ich Dir ein paar Plätzchen, 5 kl. Päckchen. Nun muß ich sparen, daß ich etwas backen kann, wenn Du kommst! – Für die lieben Grüße von Gerd danke ich herzlich + erwidere dieselben. Ja, ich möchte auch schon gerne dort sein. Man

würde sich mal erholen. Gerne höre ich, daß Du gesund bist. Was hast Du denn alles für Arbeit. Na, wenn das Wetter schön ist, + Du viel draußen bist, ist es ja schön. Ich würde auch lieber draußen arbeiten unter Menschen. In Rußland sind wieder schwere Kämpfe. Dort müssen die Soldaten Übermenschliches leisten. Wenn das dort einmal zu Ende wäre. Es ist ein harter Krieg. So Rudolf nun mache ich Schluß, ich gehe schlafen. Hoffentlich haben wir Ruhe die Nacht! Und nun leb‘ wohl, alles Gute + viele herzliche Grüße + einen Kuß
Deine
einsame Mutter.