Rudolf Schmitz an Mutter Anna, 7. November 1942
O. U. den 7. Oktober 1942
Mein liebes Mütterlein!
Wenn ich Dir heute mit der Maschine schreibe bitte ich das zu entschuldigen, es hat zwei Gründe 1. will ich etwas üben, damit ich später schreiben kann und 2. ist meine Stube im Quartier, die übrigens gemütlich und peinlich sauber ist, kalt, denn die Leute sind hier knapp mit Brennmaterial. (Im Frieden ist das aber auch schon der Fall.) Mir geht es wirklich ausgezeichnet, ich bin gesund und guter Dinge. Das Wetter ist leider schlecht, regnerisch und kalt, man kann in der knapp bemessenen Freizeit nur wenig unternehmen. Wie ich Dir schon schrieb ist die Gegend sehr schön, ganz anders als Norwegen, Ähnlichkeiten gibt es wirklich nicht. Nur die See könnte einen an den Norden erinnern. Gestern habe ich einen Kameraden, der vom Pferd geschlagen worden war, in das nächste Lazarett gefahren. Zu diesem Zweck hatte ich mir den Wagen des ansässigen Arztes geborgt, einen pfundigen Chevrolett. Die Fahrt ging über 120 km. durch reizende Landstädtchen, einfach wundervoll. Überall sieht man, dass das Land keinen Krieg kannte, überall blüht auch heute noch Handel und Gewerbe. Wohlstand und Gemütlichkeit allenthalben. Es gibt noch allerlei zu kaufen, die Preise sind allerdings märchenhaft, teilweise um 100 % und mehr gestiegen. Auf ihrer Marken bekommen die Landesbewohner fast nichts, es blüht der Schwarzhandel. Das ist der Krieg. Aber sonst gefällt mir der Menschenschlag besser als der Norweger, ich meine jetzt nicht Äusserlichkeiten, schöne Menschen sieht man hier kaum, sondern sie sind gerade, aufrecht und grundanständig. Frommer als in der Heimat ist man hier auch, sehr gepflegt wird das Tischgebet. Ich habe wirklich nette Quartierleute gefunden. Gestern habe ich bis spät in die Nacht hinein mit ihnen gesessen und habe von daheim und von Norwegen erzählt. Die junge Frau ist sehr wissbegierig, die Rheinländer sind gerne gesehen, von Köln kennt man allerlei selbst Schlager sind bekannt.
Nun will ich Dir etwas über unser Dorf erzählen. 1930 begann man in diesem Polder mit der Trockenlegung. Wo heute saubere und schöne Bauernhöfe und grosszügig angelegte Dörfer, Dörfer ohne Bauern, denn in ihnen wohnen nur Beamte, Händler, Kaufleute und die Arbeiter der Höfe und der Baufirmen, stehen war damals noch die See. Die Häuser sind demnach alle neu und ganz ausgezeichnet in Schuss. Der Boden ist sehr gut und fruchtbar. Bürgermeisteramt, Büro der Landesdomäne, Schule, Arztwohnung erinnern an englische Landschlösschen. 3 Kirchen hat das Dorf, schon daraus sieht man den Volkscharakter. Wir sind gut aufgehoben und warten mit Spannung was nun wird. Von meinem Gesuch habe ich noch nichts gehört. Ob es diesmal klappt? Wie weit bist Du mit den Zähnen? Wie geht es Dir sonst gesundheitlich? Ich hoffe, dass Dir die kalte Witterung nichts angetan hat.
Hast Du wieder etwas von Heinrich gehört? Ist Anni wieder auf den Beinen? Was macht eigentlich Oma? Der Kommandeur hat mir wiederum versprochen, dass ich der Erste sein soll, der in Urlaub fährt. Der Transport den ich geleitet habe hat geklappt und ist zu seiner Zufriedenheit verlaufen, ich fühle mich im Ganzen auch wohl in der neuen Einheit.
In meinem nächsten Brief werde ich Dir einmal etwas über die netten Inneneinrichtungen der Häuser erzählen, ich habe manche Anregung für die Ausstattung unserer Wohnung erhalten.
Hast Du die Abschrift von Vaters Abstammung nicht zufällig doch noch gefunden? Von Bornheim habe ich noch keinen Bescheid. Sollte meine Versetzung genehmigt werden, muss ich in Kürze den Nachweis der arischen Abstammung erbringen. Hoffentlich kann ich bald in Urlaub kommen um mit Dir das Alles zu besprechen.
Mit vielen lieben Grüssen und den besten Wünschen für Dein Wohlergehen
Küsst Dich
Dein Junge.