Rudolf Schmitz an Mutter Anna, 3. November 1935
Iserlohn, den 3.XI.1935
Meine liebe, gute Mutter!
Endlich, endlich komme ich dazu Dir, mein Alles, einen Brief zu schreiben. Sonntags wird wohl die einzige Gelegenheit zum Schreiben sein. Sonst geht es hier ganz fürchterlich rund. Aber alles der Reihe nach.
Ad 1. Wie geht es Dir? Hast Du Dich bald an das Alleinsein gewöhnt? Du kannst ganz beruhigt sein, ich bin gut aufgehoben. Um mich brauchst Du keine Sorge zu haben. Um eins nur bitte ich Dich, bete fleißig für mich, nicht daß Du meinst, ich wäre hier in eine gottlose Gesellschaft geraten. Es geht hier ehrlich und gesittet zu! Nein, nur darum weil ich wohl Sonntags nicht zur Kirche komme. Morgens immer Stalldienst!
Nun will ich Dir einmal der Reihe nach erzählen. Die Reise ging gut vonstatten. In der neuen Kaserne angekommen, wohin wir mit Musik gebracht wurden empfingen wir sofort ein Eßbesteck. Im Eßsaal, wo sich auch die Kantine, ein wahres Warenhaus, (Unternehmer) befindet gab es eine gute Erbsensuppe. Nach der Mahlzeit wurden wir eingeteilt. Ich kam zur 7. Batterie, Stube 29, 2. Etage. Wir sind zu 4t und einem Gefreiten die ganze Belegschaft.
Heute war schon Spind u. Stubenrevision. Der Spieß, Oberwachtmeister, und der Wachtmeister haben sie abgenommen. Gestern haben wir geschrubbt. Auwei, Auwei! Die Stubenkameraden haben anscheinend Heimweh sind zu still!
Viele herzl. Grüße und einen Kuss
Dein großer Junge.
Der Gefreite stammt aus Hannover, ein Kamerad aus Hohenlimburg, ganz in der Nähe, einer aus Essen-Bottrop, Milchhändler, einer aus Köln-Deutz, vom Gotenring, ein ganz kleiner, Abiturient aus Kalk, jetzt im Geschäft. Ich bin der zweitst Älteste nach dem Deutzer. Bin sofort zum stellvertretenden Stubenältesten ernannt worden. Habe am ersten Abend schon die Stube gemeldet. Am gleichen Abend erhielten wir auf Kammer schon Sportzeug, Drillichanzug, Feldmütze, 3 Taghemden, 2 Nachthemden, 3 p. Socken, 1 p. Schuhe 2 Halsbinden. Am selben Abend wurde noch gebraust. Unser Bestand hat sich bis heute natürlich vergrößert. Jeder Kanonier besitzt heute das Aufgeführte, ein grünen Dienstrock, eine lange Hose für Sonntags, (Stiefel, Reithose) (nur die Fahrer.) einen Putzbeutel mit Kartätsche, Striegel usw. eine Strickjacke, Tasse usw. usw.
Jetzt etwas von der Stube. Übrigens langweile ich Dich nicht mit diesen Äußerlichkeiten.
Wir haben kleine Stuben. 2 große, helle Doppelfenster geben mit dem hellen, braun-rosa Stubenanstrich der Stube ein freundl. Aussehen. 2 Doppelbetten, 4 Schränke, keine engen Spinde 1 Tisch, 4 Schemel, 1 Tischchen mit Kaffeedecke und Spitzdeckchen und ein einfaches Bett sind das Mobilar. Parkettboden. (wird 2 mal die Woche gebohnert.) So kannst Du Dir ungefähr ein Bild machen, wo ich wohne.
Ich werde Fahrer. Unser Hauptdienst besteht in Stallarbeit. Wir haben mehr Dienst wie die Kanoniere. Aber: „Fällt der Dienst auch noch so schwer, Fahrer sein ist eine Ehr!“
Die Arbeit ist schwer, aber interessant, wenigstens jetzt noch. Jeder Fahrer putzt 2 mal täglich 2 bis 3 Pferde, aber wie. 15 Striche müssen auf die Stallgasse geklopft werden. Striche über die man fällt. Dann muß Streu gemacht werden, zwischendurch misten, das heißt wer aufpasst brauchts nicht, einfach die Schürze druntergehalten. Füttern, Häcksel schneiden, Reitbahn eggen, vor die Egge 6 Kanoniere gespannt und dann gehts los. Sättel putzen, Trensen putzen, Staub wichen. usw. Dann immer laufen, laufen gehen darf man nicht! Mir schmerzen abends die Füße. Um 9 geht’s zu Bett! Um 5 geht’s raus. ¾ St. für Kaffeetrinken Bettenbau, Waschen, Anziehen und Kottenreinigen. Dann geht’s zum Unterricht, eigens eingerichteter Saal. Hierauf beginnt der Außendienst. Fahrer in den Stall, Kanoniere zum Geschützschuppen. 1 mal haben wir schon geritten. Mir ist das älteste Pferd zugefallen. Ist 1 Jahr älter als ich. Heißt Ullrich. Hat den Krieg mitgemacht. Morgen müssen wir um 4.30 aufstehen. Morgen geht es wieder auf die Reitbahn. Wir müssen selbst satteln. Geführt werden wir auch nicht. Schwierig ist noch die Fersen nach außen zu drücken, Schenkel lang anlegen, nach hinten auf dem „Blasrohr“ sitzen. Also, ich lerne reiten, freust Du Dich mit mir!
Am 7. November werden wir auf den Führer vereidigt. Im Winter geht es schon zum Schießplatz zum Scharfschießen vielleicht nach Jüterbog. Im Frühjahr sind wahrscheinlich Übungen im Sauerland. Dann im Herbst Manöver. Und dann kommt das Schönste. Reserve hat Ruh.
Verzeih bitte schlechte Schrift. Es muß schnell gehen. Die Hände sind kaputt und steif dazu.
Dann komme ich wieder zu Dir. Ich freue mich. So schön und interessant es auch ist 12 Jahre hielte ich es nicht aus. Das Essen ist gut. Leider haben wir dazu kaum Zeit. Mehr wie ein Butterbrot kann ich morgens nicht essen. Wir essen aber zeitig. Meistens schon um 12.30 Mittagessen, schmackhaft, fett und reichlich. Heute gab’s Rolladen, Erbsen und Möhrchen, Sauce und eine gute Fleischsuppe. Ich habe mir schon viel kaufen müssen. Teils habe ich es direkt bezahlt, teils wird es abgehalten. Wir verdienen wahrscheinlich 0,50 M pro Tag.
Bezahlt habe ich, Hufreiniger, Schwamm, Schlüsselkette, Heftzwecke, Kasten, Mähnenbürste usw. Habe nur noch 5,00 M. Wir haben die Schränke ganz mit Blaupapier und Wachsborte verkleiden müssen. Das kostet sicher auch 2,50 M. Die Kantine macht riesige Geschäfte. Wenn Du mir etwas schickst ist es bitte Seife, Zahnpaste, Glycerin f. d. Hände. Sie sind jetzt schon ziemlich rauh und kaputt. Sonst aber bitte nichts. Es braucht nicht direkt zu sein. Ich hab noch alles. In der Kantine ist es zu teuer. Jetzt weißt Du aber schon viel! Nächsten Sonntag werde ich Dir wieder schreiben. Schreibe mir auch wieder!
Meine Anschrift ist: „Kanonier R. Schmitz II. 7. A. R. 16 Iserlohn. 7. ist die Batterienummer.
Bleibe mir gesund und zufrieden. Es sind nur 11 Monate. Dann wollen wir uns wieder zusammen über Großes und Kleines, über Köln mit seinen Geschäften und übers schöne Berg. Land über die Haardt und den Thielenbruch freuen. Bete Du für mich, ich bete für Dich. Hiermit geht es genau so gut wie im Arbeitsdienst. Die Arbeit macht zufrieden
das Gebet froh und ruhig. Ora et labora mein Wahlspruch. Alles alles Gute! Hoffentlich bekommst Du noch immer Arbeit. Geh zur Oma essen! Dann bist Du gut versorgt! Hat Heinrich eine neue Wohnung in Aussicht? Was macht Mübchen? Grüß mir Sie alle recht herzlich. Ich muß schließen habe noch einiges zu nähen.